esotera, Freiburg,
Juni 1991, S. 86-89 Auf der Suche nach
der ursprünglichen indischen Massage-Tradition stieß Dr. Jan Erik Sigdell auf
“Uzhichil”, eine selbst unter Ärzten des Landes kaum bekannte Technik. Sie
entwickelte sich einst aus der karateähnlichen Kampfkunst “Kalari Payatt.”
Heilen mit Händen und
Füßen Von Jan Erik Sigdell Wieder mal in Indien. Und wieder mal in einem
Ashram. Dieses Mal bleibe ich länger und nutze die Zeit, um mich weiter in den
Ayurveda, das uralte indische Medizinsystem, zu vertiefen. Dazu möchte ich die
traditionelle Massage lernen, muss aber feststellen, dass die ayurvedische
Tradition keine solche lehrt. Ein guter Freund, der Ayurveda-Arzt ist, kann mir
auch nicht weiterhelfen. Die uralte medizinische Tradition Indiens erschöpft
sich keineswegs im Ayurveda, der bei uns am bekanntesten ist. Daneben gibt es
auch einen südindischen “Bruder” Siddha, die tantrische Medizin und diverse
volksmedizinische Traditionen. Im Zuge der mohammedanischen Invasion kam später
die arabische Medizin griechischen Ursprungs dazu, und auch die tibetische
Medizin, unter tragischen Umständen aus dem eigenen Land vertrieben, fand in
Indien wohlwollende Aufnahme. Keines dieser Medizinsysteme lehrt eine
spezifische Massagetechnik. Man spricht in Europa manchmal von ayurvedischer
Massage und es werden auch Kurse mit dieser Bezeichnung angeboten. Gleichwohl
vertreten die “Vaidyas”, die indischen Ayurveda-Ärzte meist die Auffassung, nur
was in den alten ayurvedischen Niederschriften (in “Charaka Samhita“, “Sushruta
Samhita“ und “Vagbhata's Ashtangahridayasamhita“) verankert ist, dürfe als
ayurvedisch bezeichnet werden. Andernfalls sei die Bezeichnung missbräuchlich.
Viele Behandlungen, die bei uns als “ayurvedisch” angeboten werden, halten
diesem Prüfstein nicht stand. Dieser Etikettenschwindel soll wohl das Geschäft
fördern.* Ich gab indes meine
Suche nicht auf, denn ich hatte früher von besonderen Massagepraktiken
erfahren, die im Bundesstaat Kerala ausgeübt würden. Also nutze ich die
Gelegenheit eines Aufenthaltes in der Stadt Cochin [Kochi], um auf dem Rückweg ein
bekanntes Ayurveda-Zentrum zu besuchen. In Kottakkal, anderthalb
Buss-Stunden von der Stadt Calicat [Kozhikode] im nördlichen Teil Keralas, liegt “Arya Vaidya
Sala”, ein ayurvedisches Zentrum, das auch von westlichen Patienten aufgesucht
wird. Eine Spezialität des Zentrums ist die Behandlung mit medizinischen Ölen,
die man jedoch ohne besondere Massagetechnik aufträgt und wirken lässt, bis sie
wieder abgewaschen werden. Außerdem werden Kräuterbeutel-Behandlungen und eine
Ölstrahltherapie angeboten. Der Kuraufenthalt ist für indische Verhältnisse
teuer, sodass man dort nur auf wohlhabende Inder trifft. Bewohner der Gegend
werden allerdings gratis ambulant behandelt und beraten. Für westliche
Patienten ist der Aufenthalt vergleichsweise günstig. Leider ist das Dorf eines
der dreckigsten, die ich in Indien gesehen habe, das Ayurvedazentrum aber ist
beispielhaft sauber. Zwei Tage als Gast im
Zentrum hinterließen sehr positive Eindrücke - eine gepflegte Atmosphäre ohne
Luxus, einfaches Kantinenessen bester Qualität, gerade für einen Kuraufenthalt
geeignet. Allerdings: Mit meinen Fragen nach Massagetechniken kam ich nicht
weiter. Schließlich erhielt ich den Hinweis auf ein Zentrum für keralitischen
Kampfsport, der sich als richtige Spur erwies. Es gibt nämlich eine
spezifisch indische Massagetechnik, die indes auf einer anderen, nicht
ayurvedischen Tradition beruht. Sie entstand in alten Zeiten im Zusammenhang
mit der Kriegskunst und diente zunächst dazu, die Kämpfer fit zu machen, wurde
aber schon früh als Heilweise angewandt. Diese Tradition wird heute in Kerala
aufrecht erhalten, und zwar meist im Zusammenhang mit Trainingszentren des
“Kalari Payatt”, einer Form der Selbstverteidigung, die viele Ähnlichkeiten mit
Karate, Aikido und Jiu-Jitsu hat. Die Kampfkunst von Kerala soll ursprünglich
von Parashurama, der sechsten Inkarnation Vishnus, offenbart
worden sein, der als Schöpfer des Landes Kerala gilt. Die Kampfkunst Kalari
Payatt wurde schon zur Zeit der Mogulherrschaft und später von den englischen
Besatzern unterdrückt, bis sie durch C. V. Narayanan (1905 -1944)
wiederbelebt wurde. Die zum Teil noch von ihm gegründeten Trainingszentren
werden als “C.V.N. Kalari Sangham” bezeichnet, tragen also seine Initialen.
Dort wird die traditionelle Massage, “Uzhichil”, praktiziert und gelehrt. Viele
Zentren betreiben auch eine Naturheilpraxis, in der die Massage mit
medizinischen Ölen sowie traditionelle chiropraktische Behandlungen eine wichtige
Rolle spielen.
Energieübertragung
Ich hatte die Gelegenheit, diese Art der Massage
in Calicat [Kozhikode], im Norden Keralas, in einem zweiwöchigen Training zu lernen und
ihre Wirksamkeit am eigenen Leib zu erfahren. Im dortigen Kampfkunstzentrum
wurde ich von der Familie des Leiters und Lehrers K. Narayanan überaus
gastfreundlich aufgenommen und in einem Dachzimmer über dem Trainingssaal
einquartiert, wo die Tageshitze nur durch Dauerbetrieb eines großen Ventilators
auszuhalten war. Gleich am nächsten Tag fing ein zweiwöchiges Training an, bei
dem ich zunächst sieben Tage lang einen Mitarbeiter massierte und dann weitere
sieben Tage selbst die gleiche Behandlung erhielt. Eine volle Massagebehandlung
dauert sieben, 14 oder 21 Tage. Dabei wird der Körper vom Scheitel bis zur
Fußsohle völlig eingeölt. Das mit Kräutern versetzte Öl wird entweder nach dem
Leiden des Klienten gewählt, oder man verwendet eine allgemeine Zubereitung aus
drei verschiedenen Ölen und speziellen Kräutern. Die Massagebewegungen bei
der etwa halbstündigen Uzhichil-Behandlung sind genau festgelegt. Für den Kopf
nimmt der Masseur ein anderes Öl als für Arme, Beine und Leib. Mit einem
raschen Drehen werden Hals- und Lendenwirbel für einen kurzen Moment
ausgerenkt, um eventuell eingeklemmte Nerven zu befreien. Das Gesicht und der
Hals bekommen eine besondere Massage, und die Wirbelsäule wird sanft
bearbeitet. Beim Massieren der Kopfhaut werden auch die Haare eingeölt und
nicht einmal die Ohren ausgelassen. Der völlig eingeölte Patient soll eine
Stunde lang aufrecht ruhen, bevor er das Öl mit Linsenmehl seifenfrei abwaschen
darf. Das Sprechen von Mantras und die Berührung bestimmter Körperpunkte, die
den fünf Elementen entsprechen, fügen einen rituellen Aspekt hinzu. Der
Abschluss erinnert durchaus an das »Einstimmen” beim Reiki. Über den physischen
Effekt der Massage hinaus scheint auch eine Energieübertragung stattzufinden,
doch spricht man dort nicht von Geistheilung in unserem Sinne. In bestimmten Fällen
werden auch die sogenannten “Marmas” behandelt. Das sind nach traditioneller
indischer Vorstellung 107 Körperstellen, die bei Verletzung heftige Reaktionen
und sogar Krankheiten verursachen können. Bei ernsthaften Kämpfen werden sie
gezielt angegriffen, um den Gegner außer Gefecht zu setzen. Im Ayurveda gelten
sie als “gefährliche Stellen”, die man z. B. bei Operationen nicht anschneiden
darf.
Dauerhaft geheilt
Üblicherweise erfolgt die Uzhichil-Behandlung
mit den Händen, aber in bestimmten Fällen wird auch mit den Füßen massiert. Der
Therapeut hält sich bei dieser Variante, “Chavatti Uzhichil” genannt, - an
Seilen fest und kann damit den Druck der Füße nach Bedarf verändern. Eine
weitere Variante ist “Kizhi Veykkal”, bei der man mit einem kräutergefüllten
Stoffbeutel, der in heißes Öl getaucht wird, rollend und ohne Reibung massiert. Nach der ersten
Uzhichil-Massage tritt manchmal ein Effekt auf, den man mit der “Erstverschlimmerung”
in der Homöopathie vergleichen kann. Ich musste selbst erfahren, was ich zuvor
theoretisch gelernt hatte. Am zweiten Tag bekam ich ein leichtes Fieber, sodass
die Behandlung für diesen Tag ausgesetzt wurde. Ich empfand dies wie ein
Aufblühen latenter Herde im Körper, die dadurch “verblühten” und zu heilen begannen.
Am dritten Tag konnte die Behandlung fortgesetzt werden. Ich hatte dafür selbst
ein besonderes Öl gewählt, das ich vom Ayurveda her kenne, “Kshirabala Taila”,
das dann auch die erwartete Wirkung hatte. Meine Rückenschmerzen waren wie
fortgeblasen und sind bis heute, 12 Monate später, nicht zurückgekommen. Mit einem anderen Öl
habe ich einen alten Zahnwurzelherd durch Mundspülungen und äußerliches
Einreiben in kurzer Zeit ausheilen können. Dieses Öl heißt “Chirya
Arimedastaila” und wird mit 47 Kräutern zubereitet. Ich bin noch heute von
diesen Beschwerden frei - z. T dank der Nachbehandlung mit “Irimedadi Taila”,
das ebenfalls aus einer größeren Anzahl von Kräutern zubereitet wird. Es gibt
eben äußerst wirksame und zum Teil komplizierte Ölzubereitungen im Ayurveda.
Ihre Verwendung ist eine Spezialität Keralas.
Rezept für eine indische
Kräuteröl-Massage gegen Rückenschmerzen
Da in Europa nicht alle Kräuter erhältlich
-sind, hier ein vereinfachtes Rezept für ein allgemein verwendbares Öl zum Uzhichil: 1 Liter Sesamöl,
50 g Gelbwurz, ½ Liter Rizinusöl,
50 g schwarzer Kümmel
(Kreuzkümmel), ¼ Liter Butteröl,
50 g Bockshornklee. Man füge ca. einen Liter
Wasser dazu und lasse die Mischung kochen, bis alles Wasser verkocht ist. Die
Wirksubstanzen sind dann auf das Öl übergegangen. Butteröl wird in Indien
“Ghee” genannt. Man nimmt dafür reine Butter und lässt sie so lange kochen, bis
alles Wasser weg ist und sich braune Körner am Boden sammeln. Während des
Kochens sollte abgeschäumt worden. Der Topfinhalt wird dann heiß durch ein Tuch
oder einen Kaffeefilter gesiebt. Der Filtertrichter sollte allerdings aus
Keramik sein, da Kunststoff schmilzt. Für die Kopfmassage
verwende man reines Sesamöl. Die nachfolgend
beschriebene Rückenmassage wurde zwar aus dem Gesamtzusammenhang des Uzhichil
genommen, ist aber durchaus geeignet, Rückenbeschwerden zu lindern. Dabei kann
sogar ein handelsübliches Öl gegen Rückenschmerzen verwandt werden. Der Patient
liegt auf dem Bauch mit den Armen parallel zum Körper. Der Massierende steht
mit den Füßen auf beiden Seiten über ihm. Zuerst wird der Rücken eingeölt, dann
werden die nachfolgend beschriebenen Bewegungen (vgl. Abbildung) ausgeführt: Die linke Hand hält die
linke Schulter, die rechte fährt von der rechten Schulter über das
Schulterblatt zur Wirbelsäule, dann diese entlang über das Gewebe rechts der
Wirbel hinunter. Am Kreuzbein geht man dann über die Lendenwirbel zur linken
Seite der Wirbelsäule, fährt sie links hinauf und dann über das linke
Schulterblatt zur linken Schulter. Von da zur rechten Schulter zurück. Diese
Bewegung wird dreimal durchgeführt. Bei der Bewegung längs der Wirbelsäule sind
die Finger nach oben gerichtet, und der Daumenballen der Hand drückt sanft auf
das Gewebe. Bei der Bewegung von der linken zur rechten Schulter zeigen die
Finger nach links, sodass sie nachgezogen werden und nicht versehentlich in
den Nacken gestoßen werden können. Die gleiche Bewegung
wird nun in umgekehrter Richtung mit der linken Hand, von der linken Schulter
aus vorgenommen. Die rechte Hand hält dabei die rechte Schulter. Beide Hände kreisen
dreimal gleichzeitig über den Schulterblättern, die linke im Uhrzeigersinn, die
rechte umgekehrt. Nun legt man beide
Daumen antiparallel aneinander (s. Zeichnung) und fährt die Wirbelsäule
hinunter, sodass die Daumenkuppen jeweils das Gewebe auf der anderen Seite
sanft drücken. An der Taille gehen die Hände auseinander, die Bewegung winkelt
seitlich aus und die Hände verlassen den Körper. Dreimal nehmen die Daumen
diesen Weg, wobei sie immer neu angelegt werden.
_____________________ * Ein Kriterium für echte
ayurvedische Zubereitungen mag erwähnt werden: Seriöse Firmen geben auf der
Verpackung die klassische ayurvedische Schrift an, aus welcher die Rezeptur
stammt.