Visionen, Herrischried, 1/2003,
S. 10-13
Die christliche
Reinkarnationslehre Ist die Idee
von der Wiedergeburt der Seele in verschiedenen Körpern unchristlich, oder bloß
unkirchlich?
Ein widersprüchlicher Titel? Sogar ketzerisch?
Das auf Jesu Lehre bauende Urchristentum und das kirchliche Dogma sind
zweierlei! Das Dogma ist nach Meinung vieler eine machtstrategisch geprägte
Abwandlung von Jesu Lehre, die sich außerdem mehr auf Paulus als auf Jesus
bezieht. Dem Urchristentum war die Reinkarnationsidee nicht fremd. Der Nachweis
dafür wurde aber in der Kirchengeschichte vergraben. Es sollte wohl möglichst
niemand mehr darüber Bescheid wissen ... Die Bibel äußert sich nirgends gegen
die Reinkarnation. Die Bemühungen der Dogmatiker, eine Ablehnung dieser Lehre
aus den Worten der Bibel herauszulesen, halten einer näheren (u.a.
sprachlichen] Überprüfung nicht stand [1]. Gnostizismus – Säule des frühen Christentums Die Gnostiker („die Wissenden”) gehörten zu
den Urchristen. Sie zu Ketzern zu erklären war eine spätere Taktik von
Kirchendogmatikern, um für das eigene abgewandelte Christentum der Konkurrenz
den Boden möglichst zu entziehen. Zwar gab es verschiedene gnostische
Richtungen und ein paar Auswüchse, denen weniger Bedeutung zuzumessen ist –
jedoch war die Hauptströmung eine starke Säule des Christentums der ersten
Jahrhunderte. Man hat die Gnosis gerne als im Grunde unchristlich darstellen
und ihren Ursprung in einer vorchristlichen Gnosis sehen wollen. Diese
Taktik wurde vor allem von der deutschen Forschung verfolgt. Jedoch haben die
bahnbrechenden kritischen Arbeiten von C. Colpe dieses Bild verändert. In der
angelsächsischen und französischen Forschung hingegen ist man der Ansicht, dass
keiner der Texte die Annahme einer vorchristlichen Gnosis zulässt. Man erkennt
auch keine Vorstufen. Es gibt keine Beweise für eine vorchristliche jüdische
Gnosis. [2] Die
Gnostiker
lehrten die Reinkarnation, einige von ihnen behaupteten sogar, dass
Jesus zu
seinen Jüngern über diese gesprochen habe. Das Bibelzitat:
„Ich habe euch noch
viel zu sagen, aber ihr könntet es jetzt nicht ertragen”
(Joh. 16,12) unterstützt diese Behauptung. Was Jesus nicht in der
Öffentlichkeit sagte,
sagte er ohne Zweifel seinen Jüngern im kleinen Kreis. Die Kirche in
ihrer heutigen Gestalt entstand durch das Konzil in Nicäa 325. Es ist
wiederholt behauptet worden, dass erst bei diesem Konzil die
Reinkarnationslehre verworfen wurde, was sich aber nicht durch die bis heute
erhalten gebliebenen Konzilsunterlagen belegen lässt. Jedoch sind diese sehr
unvollständig, was die Möglichkeit offen lässt, dass verloren gegangene Unterlagen
diese Behauptung hätten bestätigen können. Bezeugt ist aber, dass Kaiser Konstantin
viele der Anwesenden nicht zu Wort kommen ließ und eine Anzahl von Anträgen und
Bittschriften ungeöffnet dem Feuer übergab. Vertretern einer gnostischen Reinkarnationslehre
wurde also keine Chance gegeben, ihre Auffassung darzubringen. Trotz diesem
Konzil lebten urchristliche Lehren noch lange weiter, v.a. in der Fassung des
Gnostikers Origenes (185 - ca.253) und auch seines Nachfolgers Didymos (313
398), des letzten origenistischen Lehrers der gnostischen Christengemeinde in
Alexandrien. Origenes hat offensichtlich die Reinkarnationslehre vertreten,
auch wenn sich Kirchendogmatiker sehr bemüht haben, das Gegenteil nachzuweisen.
Dieser „Nachweis” basiert auf später entstandenen zensierten und manipulierten
Textversionen, da die Originaltexte des Origenes zerstört wurden (ausführliche
Darstellung in [2]). Im 6. Jahrhundert
kam es zu einer Verdammung der origenistischen Lehre von der Vorexistenz der
Seele vor der Zeugung. Diese Verdammung ist aber nicht Bestandteil des Konzils
in Konstantinopel 553, obwohl man offensichtlich gerne die Welt dies hat
glauben lassen – sondern wurde bereits 543 in einer Sitzung einer ständigen
Synode auf Befehl des Kaisers Justinian festgelegt. Der Kaiser hat sie aber –
10 Jahre später – vor der Eröffnung jenes Konzils noch einmal bestätigen lassen
[1]. Gnostische Lehren
lebten trotz Bekämpfung durch die Kirche weiter. Die Bogumilen brachten sie aus
dem Balkan nach Süd-Frankreich, wo das Katharertum entstand. Im Manichäismus
lebten sie auch weiter, wenn auch ein wenig mit östlichem Gedankengut
vermischt. Da auch zoroastrische Elemente mit eingeflossen sind, hat man den
Manichäismus manchmal als eine eher persische Religion darstellen wollen. Aber
„wenn man bedenkt, dass Mani aus dem judenchristlichen Täufertum, dann aus einem
dem Markionitismus ähnlichen Gnostizismus herstammt ..., wenn er sich selbst als
Apostel Jesu Christi bezeichnet, so muss der Historiker die Initiative für die
Gestaltung von Manis System in einem häretischen Christentum suchen ... kann man
den Manichäismus nicht als iranische Religion ansehen.” [3] Im 13. Jahrhundert
wurden die Katharer – die wohl christlichste aller Bewegungen seit der
Kirchengründung – in einem veritablen Völkermord durch die Kirchenmächte ausgerottet.
Für die Katharer war die Liebe das wahre Sein, und sie bezeichneten sich als
„gute Christen”. Man hat sie als unchristlich hinstellen wollen, aber „die
Christlichkeit ihres Lebens, aber auch ihres Glaubens, ist an allen Punkten
nachweisbar ... Vor allem die jüngere französische Forschung ... beweist, dass
die Wertung der Katharer als 'unchristlich' nicht mehr aufrechterhalten werden
kann.” [4] Der Manichäismus
versickerte später auch in den Sand der Geschichte. Zurück blieben nur Reste
der gnostischen Lehren als Bestandteil verschiedener Geheimlehren. Ist das Fegefeuer eine Abwandlung der
Reinkarnationslehre? Die reinkarnationsgläubigen Katharer wurden
also im 13. Jahrhundert ausgerottet. Ungefähr gleichzeitig entstand im
Kirchentum die Fegefeuer-Lehre, die dem Urchristentum fremd und durch die Bibel
nicht belegbar ist. Es ist behauptet worden [5,6], dass diese Lehre von einem
„Reinigungsprozess” (das ist die eigentliche Bedeutung des lateinischen Wortes purgatorium,
das mit Feuer nichts zu tun hat) eine dogmatisch umgemünzte
Reinkarnationslehre sei. Ich sehe diese Meinung dadurch bestärkt, dass die
Fegefeuer-Lehre gleichzeitig mit der blutigen Vernichtung der Katharer
entstand. Sie könnte sehr wohl aufgestellt worden sein, um sie der katharischen
Reinkarnationslehre entgegenzustellen! [1] Einige dogmatische
Lehrsätze des Kirchentums sind absurd und widersprüchlich, und durch die Bibel
nicht begründbar (vgl. [1]). Hierzu gehören: 1. Die
Seele würde erst bei der Zeugung erschaffen. Dies steht u.a. in Widerspruch zu
Punkt 4 unten. 2. Dieses
Leben würde endgültig entscheiden, ob wir in den Himmel oder in die Hölle
geraten. Ein liebevoller Gott würde uns unreife und unwissende Menschen mit
einer solchen endgültigen Entscheidung niemals überfordern. 3. Die
Lehre von der ewigen Verdammnis. Sie widerspricht ebenfalls der Liebe Gottes.
Eine ewige Hölle würde das Böse verewigen, und der Endzustand – so wie es nun
einmal in der Welt aussieht – wäre ein kleines Himmelchen nebst einer
riesigen Hölle ... 4. Der
Mensch sei sündig geboren. Eine abscheuliche Ungerechtigkeit, wenn – wie die
Kirche lehrt! (Punkt 1) – der Mensch noch gar nicht existierte, als in
uralten Zeiten eine angebliche „Ursünde” begangen wurde! 5. Körper
und Seele seien untrennbar eins. Diese Behauptung führt zu einer ganzen Reihe
von tiefgründigen Absurditäten [1]. Sie ist nicht in der Bibel belegbar,
sondern ist eine taktische Umdeutung der Seelenlehre des vorchristlichen
Philosophen Aristoteles. Demgegenüber besagt die gnostische
Reinkarnationslehre Folgendes: 1. Die
Seelen wurden mit der Schöpfung des Alls als Lichtwesen erschaffen. Eine große
Zahl dieser Wesen fielen aber aus der göttlichen Lichtwelt heraus und wurden in
niedrigere Bewusstseinszustände versetzt. Viele davon wurden, in Origenes'
Worten, zu „Seelen, die zur Strafe in Körper versetzt wurden, wie in
Gefängnisse.” 2. Dieses
menschliche Leben ist nur eine von vielen Verkörperungen der Seele, die wie
Treppenstufen zurück zur göttlichen Lichtwelt führen. 3. Es
gibt keine ewige Verdammnis. Es gibt jedoch auch eine Welt der dunklen Mächte.
Nicht nur alle Seelen, sondern schließlich auch die Wesen jener Welt werden mit
der Zeit erlöst. 4. Der
Mensch trägt als Folge unguter oder gar übler Taten ein dementsprechendes Karma
und muss in aufeinanderfolgenden Verkörperungen dieses abarbeiten. Das Karma
ist aber keine Strafe, sondern eine Belehrung durch Lektionen. Diese lassen uns
oft am eigenen Leibe erleben, was wir anderen zugefügt haben, wodurch wir auf
der Seelenebene zur Einsicht bezüglich unserer Verfehlungen, Reue und Umkehr
kommen sollen. 5. Körper
und Seele sind zweierlei. Die Seele hat keinen physischen Körper, aber sie
trägt wie Bekleidungen nacheinander verschiedene Körper als Vehikel, um in der
materiellen Welt Erfahrungen zu machen. Sie sterben unwiderruflich, wenn die
Seele sie verlässt. Man hat immer wieder gegen Punkt 4
einwenden wollen, dass es so nicht gehen könne, da man im neuen Leben nichts
vom früheren wissen würde. Dieser Einwand stammt aus dem Mittelalter, in der
man vom unbewussten Ich noch keine Ahnung hatte. Heute wissen wir es besser, und
trotzdem holt man diesen unzeitgemäßen Einwand wiederholt aus der Mottenkiste.
Im unbewussten Ich wissen wir nämlich sehr wohl, was die Ursache unseres
Karma ist! Es ist nur im bewussten, rationalen Verstand, dass wir nichts mehr
davon wissen. Hauptlektion der
Reinkarnation ist die Liebe Das Endziel der Seelenschulung durch das
Karma ist, dass wir als Seelen endlich die Liebe voll begreifen und danach
leben. Liebe verbindet, vereint, aber die Selbstsucht sowie Hass, Verachtung
und andere egobezogene Gefühle trennen und verletzen. Wir müssen endlich
begreifen, dass wir alle – ohne Ausnahme – Geschwister aus demselben göttlichen
Licht sind. Dabei ist es völlig bedeutungslos, welche Herkunft, Kultur, Glaube,
Sprache, Hautfarbe usw. der andere hat! Diese Dinge sind nur Äußerlichkeiten
des Körpers und des egohaften Verstandes, die es in der Seele selbst nicht
gibt. Die wahre Liebe ist bedingungslos und kennt keine Diskriminierung. „Ich
liebe dich, wenn ...” oder: „Wenn du ... kann ich dich nicht lieben” ist keine
Liebe, sondern Erpressung! Meine jahrzehntelange Arbeit mit der
Rückführungstherapie hat mich viel über die erschreckend oft vorkommenden
Liebesverletzungen der Menschen gelehrt – dazu aus Platzgründen eine nur sehr
kurze Zusammenfassung. Die Liebe hat eine
sonderbare Eigenschaft: Sie kann nur im Austausch gedeihen. Ist sie einseitig,
verwelkt sie. Daraus folgt als Faustregel: „Du bekommst nicht mehr Liebe, als
du gibst!” Gibt man keine, kann man keine erwarten. Liebe fängt in unserer nächsten
Umgebung an! Man liebt Gott durch den Mitmenschen (Matth. 25,40). Viele Menschen
sind emotionale Krüppel. Grobe Gefühle sind ihnen recht, aber feine und
zärtliche halten sie für „Gefühlsduselei” und Schwäche. Jedoch:
Sie nicht zu
zeigen zu wagen ist die eigentliche Schwäche! Der wahrhaftig starke Mensch
zeigt sie und steht zu ihnen, ist aber vorsichtig mit groben Gefühlen. „Du weißt doch,
dass ich dich liebe” (d.h.: „dann muss ich sie doch nicht zeigen”) ist eine
faule Ausrede. Es ist wie ein Kuchen, der im Kühlschrank steht, von dem man
aber nicht kosten darf. Diese Gefühlsverkrüppelung wird oft von Eltern geerbt,
die selbst keine Gefühle zeigen konnten. Wenn wir aus diesem Teufelskreis
ausbrechen, haben wir eine wichtige Stufe zur Reife erklommen! Kinder brauchen
Körperkontakt. Berührung – halten, streicheln, umarmen – sowie Trost und Lob
nähren die Seele so wie die Speise den Körper. Viele sind in der Kindheit
seelisch unterernährt worden. Gute Kleider dienen nur dem Körper, und eine
Ausbildung nur dessen egohaftem Verstand, aber sie sind kein Ersatz für die
Liebe. In der
Partnerschaft gehört die Sexualität natürlich auch zur Liebe. Es findet dabei
ein energetischer Austausch auf Seelenebene statt. Wahre Spiritualität wird in
der Ehe die Sexualität nicht ausklammern und körperbezogene Gefühle verdrängen
(womit sie ja nur versteckt wären!), sondern zulassen, dass sie sich in Liebe
manifestieren. Lieblose und gar gewaltsame Sexualität ist eine perverse
Entartung. Einige ganz wenige, fragmentarische Hinweise haben die Bemühungen um
eine „Säuberung” der Überlieferung überlebt, die andeuten, dass es bei den
Gnostikern auch eine Form von christlichem Tantrismus gegeben haben dürfte. Die letzte Frage Wird uns nach dem Tode eine Frage gestellt,
heißt sie sicher nicht: „Was hast du geleistet? Was hast du erworben?” und auch
nicht: „Wie oft bist du in die Kirche gegangen?”, sondern: „Wie viel Liebe hast
du gelebt? Und wo hast du in der Liebe versagt?” Mit jeder neuen Verkörperung
dürften unsere Antworten wohl immer besser werden. Jan Erik Sigdell, 1938 in Schweden geboren, promovierte in Medizintechnik
und hat wesentliche Beiträge zur Dialysetechnik geleistet. Nach 29 Jahren
Berufstätigkeit in der Schweiz übersiedelte er 1997 in die Heimat seiner
slowenischen Frau. Seit 1980 führt er Rückführungen und Reinkarnationstherapie
nach der Methode des Bryan Jameison durch. Langjährige Studien zur Frage der
Reinkarnation im Zusammenhang mit Christentum und Kirche. Referenzen Jan Erik Sigdell