Kommentare zum Abschnitt über die Reinkarnation in

Und was kommt nach dem Ende? von Medard Kehl

Herder, Freiburg i.Br., 4. Aufl. 2002

vgl. http://www.sankt-georgen.de/leseraum/kehl4.html

 

Der Wiedergeburtsglaube in der modernen Gesellschaft (S. 47)

Heute dürfte die Zahl von Reinkarnationsgläubigen in Deutschland sich eher 30 % nähern. Interessant ist, dass eine Untersuchung vom Anfang der 80-er Jahren her ergab, dass damals (im Durchschnitt) etwa ein Viertel der westlichen Bevölkerung an die Reinkarnation glaubte oder sie zumindest für möglich hielt, aber auch, dass von Menschen mit eigenen religiösen Erlebnissen 39 % daran glaubten!

Hauptgründe dafür sind:

 

Karma ist nicht Vergeltung! (S. 50)

Karma als Vergeltungskausalität darzustellen gehört zur östlichen Karmaauffassung. In der westlichen Form des Reinkarnationsglaubens, v.a. so, wie sie sich aus Rückführungserlebnissen (kausale Zusammenhänge zwischen verschiedenen Leben) hervorgeht, erscheint das Karma nicht als Bestrafung oder Vergeltung, sondern viel mehr als Lektion. Vereinfachtes Beispiel: Habe ich eine Frau vergewaltigt und empfand ich kein Unrecht dabei, sondern sterbe danach ohne Reue, ist es für die Seele sehr lehrreich, wenn ich in einem späteren Leben eine Frau werde und am eigenen Leib eine Vergewaltigung erlebe. Meine Seele erfährt dann die Gefühle meines früheren Opfers und lernt endlich zu verstehen, wie schlimm und ungerecht dies ist. Sie wird es in einer neuen Verkörperung als Mann höchst wahrscheinlich nie wieder tun.

Diese Erfahrung am eigenen Leib vom Leid, das man einer anderen Person zufügte, ist eigentlich nur dann auch wirklich fällig, wenn der Täter vor dem Tod immer noch keine Reue kennt, sondern nur Ausreden und Rechtfertigungen. Es geht dann eigentlich nach dem Prinzip: «Wer nicht verstehen will, muss fühlen». Kommt man aber vor dem Tod zu Einsicht, Mitgefühl mit dem Opfer und Reue, mit der Erkenntnis: «So etwas tue ich nie wieder», erübrigt sich ja das Erlebnis an der eigenen Haut! Es kann in bestimmten Fällen jedoch trotzdem von der Seele her wieder gesucht werden, nämlich aus einem Schuldgefühl heraus, etwa wie: «Wer weiß, ob das genügt. Besser ich werde noch einmal eine Frau und noch einmal vergewaltigt!»

 

Woher kommt die Reinkarnationsvorstellung? (S. 52)

Die Reinkarnationsvorstellung ist sicher nicht «an der Natur der Pflanzen abgelesen»! Sie ist vielmehr folgendermaßen entstanden:

 

Person, Ego, Ich und Seele. Reinkarnation als Seelenschule. (S. 52-53)

Die Frage, ob das Leben über den Tod hinaus letztlich und endgültig einem personalen Wesen einen Sinn zusprechen kann, hängt sehr mit dem Begriff «Person» zusammen. Was ist das?

Die Erkenntnisse der modernen Psychologie und Psychiatrie hat es zum Allgemeinwissen gebracht, dass der Mensch ein unbewusstes Ich hat, dass sogar «größer» ist, als das kleine egohafte hirngebundene bewusste Ich. Der mittelalterliche Einwand, dass Reinkarnation und Karma keinen Sinn hätten, da man im neuen Leben nicht wisse, wofür man «bestraft» werde, ist damit nicht mehr haltbar. Wir wissen es im unbewussten Ich sehr wohl! Nur das Ego-Bewusstsein im Gehirn weiß es nicht. Nach dem Tod hört diese Trennung zwischen einem bewussten und einem unbewussten Ich auf. Beide vereinigen sich zu einem großen bewussten Ich. Darin entsteht die Erkenntnis, wofür wir «bestraft» wurden – d.h.: eine Lektion bekamen (s.o) – und die Gleichung geht für die Seele auf.

«Persona» bedeutet Maske. Das körperhafte bewusste Ich, das sich als «Person» empfindet, ist also die Maske der Seele. Die Seele hat viel mehr mit dem unbewussten Ich zu tun. Bin ich dann, in einem neuen Leben, eine andere Person? Ja, in dem Sinne, dass meine Seele eine neue Maske trägt, ein neues Ego hat. Die Seele ist aber die gleiche, nur mit der Erfahrung des vorausgehenden Lebens bereichert. Eine Erfahrung, worauf sie jetzt weiter baut.

«Die Welt» ist also doch nicht «ein lückenloser Kosmos ethischer Vergeltung», sondern eine Schule für die Seele, in der sie in neuen Lektionen aus den Folgen eigener Verfehlungen lernt, wie falsch ein früheres negatives Verhalten war. Man könnte auch von «Erfahrungsergänzung» sprechen. Bin ich Täter, bekomme ich das Leid meines Opfers nicht wirklich mit, ja, ich will sogar davon gar nichts wissen. Ich erfahre dann eine bestimmte Situation eigentlich nur zur Hälfte, einseitig: nur mit den Empfindungen und Emotionen des Täters. Die des Opfers erfahre ich nicht. Es macht dann einen Sinn, dass ich auch die andere Seite nachholen muss und erfahren, was mein Opfer empfunden hat, und zwar in einer neuen aber ähnlichen Situation, in der ich dafür die Seite wechsle: Ich bin dann selbst auf der Opferseite.

 

Selbstverantwortung vor Gott. Umstände, in die eine Seele hineingeboren wird (S. 53-55)

Natürlich bedeutet das auch eine Selbstverantwortung! Wer soll denn sonst für mich verantwortlich sein – Gott? Soll ich denn meine Verantwortung auf ihn abschieben? Bin ich denn nicht für meine Verfehlungen selbst voll verantwortlich? Ich habe sie ja getan, nicht Gott! Und hat deshalb meine Seele eine entsprechende Lektion nötig: Bin ich dann nicht selbst dafür verantwortlich, dass ich sie bekomme? Liegt darin wirklich etwas Unchristliches oder Widergöttliches? Ich bin doch darin vor Gott verantwortlich! Warum also diese Abwertung der Selbstverantwortung? Sie steht ja in keinem Widerspruch zur göttlichen Schöpfung und Führung der Menschen, eher im Gegenteil.

Das Zusammenspiel von natürlichen (biologischen, physikalischen, psychologischen) Gegebenheiten des Körpers (z.B. der Erbanlagen) und der Seele  gehört dann auch zum «Geflecht des Karma»: Ich habe als Seele gewählt, unter solchen Umständen zu inkarnieren, um gerade diese Gegebenheiten zu haben! Zwar bin ich z.B. auch von Erbanlagen her gesteuert oder eventuell behindert, aber es ist doch gerade diese Situation, welche die Seele gesucht hat, entweder um, eine bestimmte Lektion zu haben, oder um ein für eine Aufgabe geeignetes Umfeld zu haben. Die frühere Verantwortung geht zusammenhängend in die jetzige Verantwortung über und wird darin fortgesetzt, und zwar in meiner Wahl, wie ich heute handele und heute meinen Weg in die Zukunft bereite. So kann man nicht mehr von der Reinkarnationsvorstellung als ein «Legitimationsmodell des Bestehenden» sprechen, sondern um eine Basis zur Erkenntnis und zum Verständnis des Bestehenden.

 

Die ungerechte Lehre der «Erbsünde». (S. 55)

Die kirchliche dogmatische Lehre von der Erbsünde gehört zu den größten Ungerechtigkeiten, die man sich denken kann! Nach kirchlicher Lehre soll ich doch in keiner Weise existiert haben, wenn angeblich vor vielen Jahrtausenden eine «Ursünde» begangen wurde. Wie sollte ich denn an etwas mitschuldig sein können, woran ich in keiner Weise beteiligt sein könnte? Das gehört in die gleiche Kategorie wie der biblische Spruch, dass Jahweh einen Sünder bis ins «3. und 4. Glied» verfolgen würde. Die übliche Deutung, dass es sich beim «3. und 4, Glied» um die Kinder, Großkinder, u.s.w., handeln sollte, widerspricht ja jede Gerechtigkeitsauffassung! Die Kinder können ja keine Schuld daran haben! Die einzige annehmbare Deutung ist die der christlichen Gnostiker der drei ersten Jahrhunderten: Der Sünder muss die Folgen seiner Taten bis in die 3. und 4. darauffolgende Inkarnation erleben!

Die Rede von «Sünde als Tat der Freiheit» erscheint in sich selbst widersprüchlich. Soll denn der Heilsweg in der Unfreiheit liegen? Gott hat uns doch die Freiheit gegeben! Es geht vielmehr darum, dass ich diese Freiheit richtig gebrauchen lerne, d.h.: altruistisch und nicht egoistisch:

 

Nicht «Fortschrittswahn» sondern «Entwicklung». (S. 56-57)

Die Reinkarnation hat nichts mit «Fortschritt» zu tun, sondern mit Entwicklung. Das materielle Wachstum stoßt an seine Grenzen, die spirituelle Entwicklung ist noch weit von ihren Grenzen weg …

Das «Vollkommenheitsideal» ist durchaus geistig, es ist, die undiskriminierende, bedingungslose Liebe endlich zu entwickeln. Die Liebe kann man nicht machen. Das geht es nicht um etwas Machbares, sondern um eine durch Erfahrung heranwachsende Entwicklung. Das ist auch ein Geschenk, denn der Heilsweg der Reinkarnation ist uns auch von Gott geschenkt! Da klärt sich mit der Zeit das Paradoxon des Menschen auf.

 

Die frühere Iche gehen nicht verloren, sondern summieren sich im Seelenbewusstsein auf. Das unbewusste Ich vergisst nichts. (S. 58-59)

Dass man dem Glück nicht hinterherlaufen müsse, denn es käme dann schon im nächsten Leben, ist ja ein Unsinn und gar kein Argument! Sag das dem unglücklichen Leidenden, was wird denn er darauf antworten? Er würde sich nur verhöhnt fühlen ...

«Reinkarnation dekonstruiert Identität» ist auch ein erstaunliches Missverständnis. Die Vielfalt ist nur scheinbar und gilt nur den «Personen», den verschiedenen Masken der Seelen, hinter welchen die Seele als eine von Anfang an seiende Identität bleibt. Die Masken sind nur Scheinidentitäten des Ego. Mit der Zeit fließen – nach einem bekannten indischen Gleichnis – diese verschiedene, eher oberflächliche «Identitäten» zusammen, so wie aus verschiedenen Fäden und Kordeln ein festes Seil gezwirnt wird.

Auch wenn die früheren Ego-Identitäten unbewusst sind, beeinflussen sie uns sehr! Es ist doch eine bekannte Erkenntnis der Psychologie und Psychotherapie, dass wir in unserem Verhalten, unseren Reaktionen und unseren Gefühlen ohne es zu wissen widerspiegeln, was wir in unserem unbewussten Ich mit uns tragen. Es ist besonders daher, dass wir unsere psychologische und sogar psychosomatische Probleme haben! Wird das bewusst gemacht, was im unbewussten Ich liegt und von dort aus ein Problem verursacht, löst sich meistens das Problem. Das ist das eigentliche Ziel jeder Psychotherapie, auch der Reinkarnationstherapie. Dementsprechend beeinflussen uns auch Erinnerungen an positive Erfahrungen und gelernte Lektionen, aber eben positiv. Um zum Beispiel oben vom Vergewaltiger zurückzukehren: Nach seinem Erlebnis in einer späteren Inkarnation als Frau wird er vielleicht wieder als Mann geboren. Dieser Mann kann sich niemals vorstellen, dass man eine Frau vergewaltigen kann. Etwas in ihm sträubt sich dagegen, mit dem Gefühl, dass es eine enorme und grausame Ungerechtigkeit sei. Er weiß nicht, woher das Gefühl kommt, aber es kommt eben von der unbewussten Erinnerung an die gelernte Lektion her.

Was die Reinkarnationstherapie betrifft, gilt wohl auch hier: «Wer heilt, hat recht». Der therapeutische Erfolg beweist zwar nicht, aber bestätigt als Indiz die Theorie, unter der gearbeitet wird: dass die Ursache eines persönlichen Problems sehr wohl in einem früheren Leben liegen kann. Wäre das alles Fantasie und Illusion, wie könnte es dann wirken?

 

Nur der Körper und nicht die Erfahrung wird abgelegt. (S. 60)

Die Aussage «… ohne dass die eine ‹Verkörperung› von der einen etwas weiß, sodass die früheren Existenzen auch jetzt keine ausdrückliche Bedeutung mehr haben» übersieht die Tatsache, dass alles in Erinnerung im unbewussten Ich bleibt und beim Tod auf das Seelengedächtnis übergeht, worin sich alle frühere egohafte Erfahrungen, alles was wir getan, gedacht, erlebt und gefühlt haben, nach und nach aufsummieren und in eine Einheit aufgehen. Deshalb lautet die Antwort auf die Frage: «Ist mein konkretes leiblich-geschichtliches Leben … so unbedeutsam … dass es im Tod wie ein altes Kleid einfach abgelegt und vergessen werden kann?» wie folgt: Es wird nur der physische Körper abgelegt, aber seine Erinnerung, sein Gedächtnis geht in das Seelengedächtnis aufsummierend auf. Es ist also niemals verloren! Dies ist also nicht wirklich eine Egozentrik – oder höchstens nur vordergründig und scheinbar eine – sondern dass wir dies durchmachen dürfen, statt bei Fehlverhalten in eine ewige Verdammung verloren zu gehen, ist ja gerade die Liebe Gottes, die sagt: «Du sollst ewig sein»! Ein Versprechen zur Treue wird dann auch mit hinübergenommen ...

 

Glauben, Wissen, Erfahrung, innere Überzeugung.

Überprüfbarkeit von Rückführungserlebnissen. (S. 60-62)

Wird da Glauben durch Wissen ersetzt? Empirisches «Wissen», Erfahrung und daraus folgendes «inneres Wissen», hat eine andere Qualität als was wir sonst als «Wissenschaft» auffassen, das nämlich eher ein Dogma des wissenschaftlichen Establishments ist. Es geht bei der Erfahrung der Reinkarnation – in Spontanerlebnissen oder auch in Rückführungen – um die erste Art der «inneren Überzeugung». Man weiß es in sich eben, da man es erfahren hat, ohne dass es ein Produkt von rationaler Überlegung oder einem wissenschaftlichen analytischen Prozess ist. Dabei geht man in der sog. Reinkarnationstherapie keineswegs mit Suggestionen vor, jedenfalls in seriösen Methoden nicht, sondern man greift auf, was bei einer Versenkung in die inneren Bilder von selbst auftaucht. Wenn das sehr den Eindruck einer früheren Existenz macht, steht es uns auch frei, es so zu verstehen, da niemand wissenschaftlich beweisen kann, dass es nicht so ist ... Der Hinweis auf das Diktat des Dogma ist da kein haltbares Argument dagegen, sondern ebenfalls eine Glaubenssache! Da steht eine Glaubensauffassung gegen die andere, abgesehen davon, dass viele Indizien (nicht Beweise im wissenschaftlichen Sinne) für den Reinkarnationsglauben sprechen.

Die Behauptung, dass auftauchende Erinnerungen meistens historisch nicht mehr auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden können stimmt zum Teil, aber eher deshalb, weil sehr viele der Erlebnisse historisch belanglos – wenn auch persönlich bedeutsam – und deshalb nicht nachprüfbar sind. War der die Person vor 300 Jahren ein Straßenräuber im Wald oder ein Schuhmacher in Kairo, gibt es mit ziemlicher Sicherheit keine Aufzeichnungen, die es nachweisen. Jedoch tauchen immer wieder auch Erlebnisse mit nachprüfbaren und in Nachprüfungen bestätigten Fakten auf. Es gibt mehrere Bücher über solche Fälle. Das Problem ist, nur, dass «Wissenschaft» und Theologie diese gar nicht zur Kenntnis nehmen, weil sie keine Beweise haben wollen. An das Glaubensgebäude – der Schulwissenschaft bzw. der Theologie – darf ja gar nicht gerüttelt werden! Wo kämen wir sonst hin? Da müsste man ja seine Meinung ändern! Niemals! Da soll lieber die Erde noch flach sein ... egal was die «Rundmacher» wollen ...

«Höchstens in einigen der vielen untersuchten Fällen hält z.B. … I. Stevenson die Reinkarnationshypothese für die naheliegende Erklärungsmöglichkeit36» ist eine ziemlich eigensinnige Deutung des Zitats 36: «Obwohl das Studium der Kinder, die behaupten, ein früheres Leben zu erinnern, mich überzeugt hat, dass einige von ihnen in der Tat reinkarniert haben mögen, so hat es mir doch auch die Gewissheit verschafft, dass wir nahezu nichts über die Reinkarnation wissen». Das Zitat sagt doch eher aus: «Ich bin davon überzeugt, dass es sich in mehreren Fällen tatsächlich um Reinkarnation handelt, muss aber zugeben, dass wir fast nichts über die Reinkarnation an sich wissen»!

 

Christ, und hintenherum doch nicht? (S. 63)

«Ich spreche keinem, der von der Wiedergeburtslehre überzeugt ist, damit schon ab Christ zu sein» und dann doch, gewissermaßen hintenherum: «Es bezeichnen sich ja auch genügend Menschen als Christen, die nicht an den dreieinen Gott oder an die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus oder an die Auferstehung Jesus von den Toten oder an unsere eigene Auferstehung glauben.»

 

Ablehnung durch die Kirchenväter? Gnosis nicht christlich? (S. 64)

Die «Ablehnung der Kirchenväter» der Reinkarnation ist «eindeutig und einheitlich». Das dürfte zum größeren Teil stimmen, aber wohl doch nicht ganz, da es Textstellen in den Schriften mancher Kirchenväter gibt, die den Eindruck von einer Zwiespältigkeit dieser Fragestellung gegenüber geben. Das ist natürlich auch eine Sache von Übersetzung und Interpretation, doch die Interpretation des kirchlichen Dogma ist ja in keiner Weise unabhängig ... Man will es so sehen, und so wird es dann auch gedeutet ...

Die Gnosis, der zugegeben wird, die Lehre von der Wiedergeburt vertreten zu haben, wird so behandelt, wie wenn sie unchristlich sei. Das Gegenteil ist der Fall!

Man hat die Gnosis gerne als im Grunde unchristlich darstellen und ihren Ursprung in einer vor­christlichen Gnosis sehen wollen. Diese Taktik wurde vor allem von der deutschen For­schung verfolgt. Jedoch haben die bahn­brechenden kritischen Arbeiten von C. Colpe dieses Bild verändert. In der angelsäch­sischen und französischen Forschung hin­gegen ist man der Ansicht, dass keiner der Texte die Annahme einer vorchristlichen Gnosis zulässt. Man erkennt auch keine Vorstufen. Es gibt keine Beweise für eine vorchristliche jüdische Gnosis. [Nach: TRE – Theologische Realenzyklopädie, hrsg. v. Gerhard Müller, Bd. XIII, Walter de Gruyter, Berlin, 1984, S. 519-550].

Es ist doch eine historische Tatsache, dass die in den drei ersten Jahrhunderten vorherrschende Form des Christentums die der Gnostiker war, bis die Kirche erst mit dem Konzil in Nicaea 325 richtig entstand. Dabei, erst, wurden die Gnostiker als Ketzer erklärt und man ließ sie im Konzil nicht zu Wort kommen. Also kann man sagen: Das Urchristentum war die christliche Gnosis!

Gnostische Lehren lebten trotz Bekämp­fung durch die Kirche (u.a. eine totale Ablehnung der Gnostiker im Konzil von Nicaea 325, wo man ihre Vertreter nicht zu Wort kommen ließ) weiter. Die Bogumilen brachten sie aus dem Balkan nach Süd-Frankreich, wo das Katharertum entstand. Im Manichäismus lebten sie auch weiter, wenn auch ein wenig mit östlichem Gedan­kengut vermischt. Da auch zoroastrische Elemente mit eingeflossen sind, hat man den Manichäismus manchmal als eine eher persische Religion darstellen wollen. Aber, «wenn man bedenkt, dass Mani aus dem judenchristlichen Täufertum, dann aus ei­nem dem Markionitismus ähnlichen Gnostizismus herstammt ..., wenn er sich selbst als Apostel Jesu Christi bezeichnet, so muss der Historiker die Initiative für die Gestaltung von Manis System in einem häretischen Christentum suchen ... kann man den Manichäismus nicht als iranische Religion anse­hen.» [TRE – Theologische Realenzyklopädie, hrsg. v. Gerhard Müller, Bd. XXII, Walter de Gruyter, Berlin, 1992, S. 25-45, Hervorhebung von mir].

Im 13. Jahrhundert wurden die Katharer – die nach meiner Meinung wohl christlichste aller Bewegungen seit der Kirchengründung – in einem veritablen Völkermord durch die Kirchenmächte aus­gerottet. Für die Katharer war die Liebe das wahre Sein, und sie bezeichneten sich als «gute Christen». Man hat sie als unchristlich hinstellen wollen, aber «die Christlichkeit ih­res Lebens, aber auch ihres Glaubens, ist an allen Punkten nachweisbar ... Vor allem die jüngere französische Forschung ... beweist, dass die Wertung der Katharer als ‹unchrist­lich› nicht mehr aufrechterhalten werden kann.» [TRE – Theologische Realenzyklopädie, hrsg. v. Gerhard Müller, Bd. XVIII, Walter de Gruyter, Berlin, 1989, S. 21-30, Hervorhebung von mir].

 

Hat Origenes die Reinkarnation befürwortet? (S. 64)

«Es scheint eine einzige Ausnahme gegeben zu haben, nämlich Origenes» leitet den Versuch ein, Origenes als Vertreter der Reinkarnationslehre, oder zumindest ihr zugetan, zu leugnen. Das ist der übliche Umgang mit dieser Frage bei Origenes in der dogmatischen Taktik, der aber eine nähere Nachprüfung nicht standhält. Übrigens dürfte dann der Origenes-Nachfolger Didymos der Blinde auch «eine scheinbare Ausnahme» sein! Seine Schriften, bzw. die Niederschriften seiner Aussagen, sind aber viel zu wenig bekannt.

Die Wahrheit ist, dass die Schriften von Origenes eingehend zensiert wurden! Die Originaltexte in Griechisch wurden fast alle im 6. Jahrhundert verbrannt. Was wir heute haben sind an wesentlichen Stellen inhaltlich stark umarbeitete Übersetzungen von Rufinus, und auch des Hieronymus. Sie geben beide zu, den Text «zurechtgelegt» zu haben! Mit der Vernichtung der Originaltexten hat die Kirche sich selbst den Grund für ihre subjektive Beurteilung entzogen ...

 

Ist die Schöpfung nicht göttlich? (S. 66)

Nach dem christlichen Glauben sei alles Weltliche – damit auch die «Person» – geschaffen, endlich und nicht göttlich ... Es ist doch aber aus Gott hervorgegangen! Es ist damit doch auch Teil von ihm! Auch wenn die Schöpfung nicht unendlich bestehen bleibt, nimmt doch Gott sie am Ende in sich zurück! Und da soll sie nicht im Grunde göttlich Sein ...?

Weshalb wir dann als Seelen unsterblich sind, mag eine zweitrangige Frage sein. Hauptsache: Wir sind es!

Dass die Gnosis nicht christlicher Glaube sei, wird u.a. in TRE widerlegt (s.o.). Richtiger: Sie ist nicht kirchlicher Glaube!

Der Mensch als körperliche Erscheinung ist endlich. Das ist auch sein Ego-Bewusstsein. Da sind der christliche Glaube und der Wiedergeburtsglaube einer Meinung! Aber wie soll dann die Seele endlich sein, wenn sie doch unsterblich (s.o.) ist? Da ist ein Widerspruch! Sollte das wirklich christlicher (und nicht nur kirchlicher) Glaube sein, dann stimmt da etwas nicht. Aber es stimmt jedenfalls in der Reinkarnationslehre!

 

Vergebung. (S. 67)

Zur kirchlichen (und nicht ursprünglich Christlichen!) Lehre vom Fegefeuer, die übrigens von den evangelischen und orthodoxen Kirchen abgelehnt wird.

Im westlichen Reinkarnationsglauben gilt: Gott hat uns den Reinigungsweg der Reinkarnation gegeben. Das lehrten schon die christlichen Gnostiker. Das ist eine große Gnade Gottes! Und das ist seine Vergebung! Werden wir einfach «nur so» vergeben, und das «schlagartig», ohne uns erst zu bewähren, ohne dafür erst etwas tun zu müssen, ohne etwas wiedergutzumachen, ohne erst zu Einsicht und Reue zu kommen – jedenfalls auf der Seelenebene? Alles unter den Teppich gekehrt? All das Leid unserer Opfer umsonst? Alles eine Laune, eine Grille Gottes? Dass es so einfach sei, ist doch eine absurde Vorstellung ... Da werden doch die leidenden Opfer verhöhnt ... So geht es nicht! So kann es nicht sein! Gott würde also Hitler erst kurz durch eine Gaskammer und einen Verbrennungsofen ziehen, ihn dann in die Arme nehme und ihn Trösten: «Du armer, hast Du dich so über die Juden geärgert? Das war doch nicht so schlimm! Das ist dir jetzt verziehen.» Ja, ich führe es bewusst ad absurdum um zu zeigen, wie absurd es schon an sich selbst ist ...

Die Barmherzigkeit Gottes kann ja nur darin bestehen, dass Er – wenn wir es nicht von uns selbst aus verstehen wollen – uns das Leid unserer Opfer erleben und es dadurch verstehen lässt, um unsere Umkehr zu bewirken, und dass Er uns dann auf Bewährungsprobe stellt. Dazu gehören auch die Wiedergutmachung und die Gegenüberstellung meiner Seele mit den Seelen der Opfer, sodass sie um Verzeihung bitten und zuerst von ihnen verziehen werden kann. Das ist es doch, was das Karmaverständnis der westlichen Reinkarnationslehre (s.o.) beinhaltet, wozu auch gehört, dass ich in einem neuen Leben mit der Seele meines Opfers wieder zusammenleben werde, auf Seelenebene die Versöhnung suchend.

Das ist Vollendung durch Vergebung! Die Läuterung, ja, aber wie? Fegefeuer? Was ist das? Reinkarnation? Ist das nicht gerade eine realistischere Vorstellung des «Fegefeuers»?

 

Warum das Leid? (S. 68)

Warum stirbt ein Kind? Warum macht ein Mensch die Erfahrung eines Behinderten durch? Warum hat er widerliche Lebensumstände? Nach dem Dogma wohl entweder aus Zufall, oder weil ihm Gott das gegeben hat. Warum hat ihm Gott das gegeben? Oder warum lässt Er einen solchen grausamen Zufall zu? Das führt zur Theodizee-Frage. Die Antwort, welche die Kirche hier nicht gibt und so nicht geben kann, gibt die westliche Lehre von Reinkarnation und Karma! Das ist eine Gerechtigkeitsfrage! Ohne Grund zu leiden, wäre extrem ungerecht! Es muss einen Grund geben! Welcher ist er, nach dem Dogma? Nur ein Einfall Gottes? Das könnte nicht hingenommen werden ... Das sieht allzu sehr nach einer Theorie der von Leid verschonten aus ...

Wenn Kinder in Not hineingeboren werden, wo Krieg und Seuchen herrschen, wo es ungeliebt und ungewollt ist oder wo es missbraucht wird: Was hat seine Seele getan, um das zu «verdienen»? Und geschähe es ohne Grund, wäre es ja eine himmelsschreiende Ungerechtigkeit! Vor dieser Frage ist das Dogma viel zu lange ausgewichen. Darauf verlangen wir jetzt eine klare Antwort! Vielleicht will das Dogma dann sagen, dass es darauf keine klare Antwort gibt. Für die Reinkarnationslehre gibt es aber eine!

 

Der Leib als «Klumpfuß» der Seele ... (S. 69-71)

Nach der urchristlichen gnostischen Lehre waren wir präexistent, und zwar als eine Form von Geistwesen ohne physischen Leib. Wie die Engel. Erst durch den Fall wurden wir in Körper versetzt, «wie in Gefängnisse». Sollen wir denn nie aus diesem Gefängnis entlassen werden? Sollen wir sogar in der Auferstehung diesen schweren materiellen Körper mit uns schleppen, wo doch die Engel keinen haben müssen, und nicht einmal die Teufel? Eine besondere Variante der «ewigen Verdammnis»? Wird da nicht die «Hoffnung» auf die Auferstehung des Leibes eher zum Fluch?

Das Dogma von der Untrennbarkeit von Seele und Leib ist unbiblisch. Es geht von dem vorchristlichen griechischen Philosophen Aristoteles aus, auf dem sich später Augustinus bezog. Wenn man aber die Abhandlung des Aristoteles über die Seele richtig liest, sieht man, dass er keineswegs Leib und Seele für absolut untrennbar hielt, sondern, dass der lebendige Leib nicht ohne die Seele sein kann, da er sonst tot ist! Dass die Seele nicht ohne den Leib sein könne, hat er nie gelehrt. Das ist ein «Wunschdenken» des Dogma, die sich auf eine Fehldeutung des Aristoteles bezog, da es in der Bibel nichts Passendes fand, um die vorgefasste Meinung zu belegen.

 

«Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein!» (S. 71)

Diese Äußerung von Jesus bestätigt die Trennbarkeit von Seele und Leib! Denn wie sollte jener andere gekreuzigte «heute noch» mit Ihm im Paradies sein können, wenn das nicht ohne den Leib wäre ...? Der Leib blieb ja auf jeden Fall «heute» – und auch «morgen» noch – zunächst auf dem Kreuz und dann an der Bestattungsstelle ...

Die westliche Lehre der Reinkarnation lehrt auch, aus der Empirie von Rückerinnerungserlebnissen heraus, dass die Seele nach dem Tode des Körpers in eine andere Welt geht, die als «Lichtwelt» beschrieben wird. Sie hält sich dort eine Zeit lang auf, meistens viele Jahre, um dann von dort aus wieder zu inkarnieren. Diese Welt wird, im Vergleich mit dem materiellen Erdenleben, als vergleichsweise paradiesisch erlebt. Vielleicht ging der Mitgekreuzigte mit Jesus erst einmal dorthin, um nach einer längeren Zeit von dort aus wieder zu inkarnieren. Oder vielleicht war die Folge seiner Inkarnationen mit dem Tod auf dem Kreuz zu Ende. Dieser Einzelfall hat jedenfalls keine allgemeine Aussagekraft! Und da war ja noch ein zweiter Mitgekreuzigter. Dem sagte Jesus so etwas nicht. Der erste bereute seine Taten und bat um Vergebung, der zweite nicht. Der zweite dürfte deshalb auf jeden Fall einen längeren Weg vor sich haben!

 

Vertrauen auf Gott oder auf das eigene Tun? (S. 71)

«Das muss keineswegs eine ausschließende Alternative sein!» Richtig! Im Christentum nicht und auch nicht nach der westlichen Reinkarnationslehre! Ich reinkarniere im Vertrauen, dass keine Seele verloren ist und dass mir Gott die Chance gegeben hat, damit auf dem Weg zu ihm zurück zu sein. Im Vertrauen, dass ich damit im eigenen Tun meine Seele entwickeln und Altes wiedergutmachen darf und kann. Darin eine «Trennung zwischen Vertrauen auf Gott und Vertrauen auf das eigene Tun» hineininterpretieren zu wollen erscheint als rätselhaft ...

 

Nahtoderfahrungen (S. 74-75)

«Wer möchte heute nicht in diesem Bereich endlich mehr und Genaueres ‹wissen›»! Ja nun, die Erfahrung zeigt wohl deutlich genug, dass viele gerade das nicht wissen wollen, weswegen sie sonst ihre Meinung hätten ändern müssen ... Solches Wissen wird abgelehnt, als unwahr erklärt, ignoriert oder man sucht mit allen möglichen Mitteln eine andere Erklärung zu finden, die besser in das eigene Weltbild passt ...

Es geht hier eigentlich nicht um die Frage, ob der Mensch in Todesnähe für eine Weile wirklich echt tot war. Es geht um etwas anderes! Es geht um die reproduzierbare Erfahrung der Außerkörperlichkeit!  Die persönliche, eigene und deshalb absolut überzeugende Erfahrung davon, dass ein Dasein außerhalb des physischen Körpers möglich ist. Sich als eine Seele zu erfahren, die sich vorübergehend vom Körper gelöst hat, und dass man als diese Seele eine andere Daseinsebene wahrnimmt, die man mit den körperlichen Sinnesorganen nicht wahrnehmen kann. Aber sie kam ja wieder in den Körper zurück. Damit war es selbstverständlich nicht der wirkliche Tod, denn dann hätte die Seele nicht in jenen Körper wieder zurückkommen können. Und dann hätten sie nicht von ihrer Erfahrung erzählen können, jedenfalls nicht uns ...

Damit ist die Trennbarkeit von Körper und Seele eine persönliche Erfahrungstatsache! Damit hat man auch ein großes Vertrauen darin, dass sich das gleiche beim endgültigen Tod vollziehen wird, aber dann ohne eine Rückkehr in den gleichen Körper.

Darum geht es ... Aber das wollen viele nicht wissen ...