Die Geschichte des Reinkarnationsglaubens in Christentum und Kirchentum

von Jan Erik Sigdell

Referat bei der Podiumsdiskussion in Zürich am 9.2.2009 in der Predigerkirche

 

Das Christentum ist aus dem Judentum entstanden. Es gab erwiesenermaßen zu allen Zeiten innerhalb vom Judentum Menschen, die an die Reinkarnation glaubten, auch wenn dies nicht ein allgemeines Glaubensgut war. Dies fand schriftlichen Ausdruck in der Kabbalah, wo Isaak Luria und Chaim Vital Bücher darüber verfassten und Bücher wie Bahir Zeugnis davon ablegten. Heute glauben besonders die Chassidim an die Reinkarnation und lehren sie.

Auf dem Boden, wo es auch solche Glaubensrichtungen gab, entstand das Christentum. Um Jesus herum entstand eine Gruppe, die man in der Theologie als Judenchristen bezeichnet, fast ein wenig abwertend, wie wenn sie keine richtigen Christen seien, und das nur weil sie sich immer noch an manchen jüdischen Gebräuchen hielten, womit sie ja aufgewachsen waren. Aber echtere Christen kann es doch nicht gegeben haben, da sie ja von Jesus selbst gelernt hatten! Unter ihnen gab es die Ebioniten, die an die Reinkarnation glaubten. Bei den anderen Judenchristen weiß man es nicht mehr so genau.

Hieraus entstand das gnostische Christentum, das ebenfalls die Reinkarnation lehrte. Es war die erste große christliche Bewegung. Man hat sich darum bemüht, sie mit der Behauptung als Häretiker abzuwerten, dass ihre Lehre auf eine vorchristliche Gnosis zurückzuführen wäre. Eine berühmte moderne Enzyklopädie, die Theologische Realenzyklopädie, macht damit ein Ende und sagt aus, dass keiner der gnostischen Texte die Annahme einer vorchristlichen Gnosis erlaubt, auch keine Vorstufen. Sie waren also wirkliche Christen. Dass sie viel später zu Häretiker erklärt wurden, war eine rein politische Maßnahme.

Diese ersten Christen wurden von Saulus bekämpft, bis er seine Bekehrung hatte und selbst eine christliche Bewegung gründete. Übernahm er damit die Lehre seiner früheren Gegner? Nein, er fing an, eine eigene, abgewandelte Variante der christlichen Lehre zu vertreten. Das war eine erste Abkehr von der Lehre des Jesus, den Paulus nie gekannt hatte. Danach bestanden die zwei Formen von Christentum nebeneinander weiter, bis im Konzil von Nicäa 325 der Kaiser Konstantin das Kirchentum gründete. Es waren am Konzil auch Vertreter des gnostischen Christentums anwesend, aber der Kaiser ließ sie nie zu Wort kommen und übergab ihre Anträge und Bittschriften ungeöffnet dem Feuer. Danach galten sie als Häretiker und für das so entstandene Kirchentum war Reinkarnation kein Thema mehr.

Der größte Vertreter des gnostischen Christentums war Origenes. Man hat immer wieder behaupten wollen, dass er keine Reinkarnation gelehrt habe, befindet sich dabei aber in Beweisnot, da die Urtexte seiner Schriften im Mittelalter verbrannt wurden. Übrig blieben nur lateinische Übersetzungen v.a. des Rufinus, die erwiesenermaßen zensiert sind. Eine Studie eines der wichtigsten seiner Schriften, Perì Archon, zeigt aber, dass er höchstwahrscheinlich getan hat, was ihm auch zeitgenössische Kritiker vorgeworfen haben: die Reinkarnationslehre vertreten. Diese Studie habe ich in einem Buch veröffentlicht.

Die letzten Gnostiker auf europäischem Boden waren die Katharer, die im 13. Jahrhundert in einem veritablen Holocaust von den Männern der Kirche restlos abgeschlachtet wurden. Ein besonderer Dorn im Auge für die Kirche wird ihre Reinkarnationslehre gewesen sein, und man hat sie stets als Irrlehrer dargestellt. Auch sie werden in der Theologischen Realenzyklopädie rehabilitiert: »die Christlichkeit ihres Lebens, aber auch ihres Glaubens, ist in allen Punkten nachweisbar … Vor allem die jüngere französische Forschung … beweist, dass die Wertung der Katharer als ›unchristlich‹ nicht mehr aufrechterhalten werden kann.«

In der heutigen Zeit hat sich ein hervorragender katholischer Theologe, Karl Rahner, positiv zur Reinkarnationslehre geäußert: »Es sei noch auf die Frage hingewiesen, ob nicht in der katholischen und zunächst so altmodisch anmutenden Vorstellung von einem ›Zwischenzustand‹ ein Ansatz gegeben sein könnte, um besser und positiv mit der in den östlichen Kulturen so verbreiteten und da als selbstverständlich betrachteten Lehre von einer ›Seelenwanderung‹, ›Reinkarnation‹, zurechtzukommen …« sowie »Ich habe selber wahrhaftig nichts übrig für ›Seelenwanderung‹ … Aber wenn man die ungeheure Verbreitung dieser Vorstellung in Raum und Zeit erwägt, die heute ja keinem engeren Kulturkreis allein angehört, wenn man dieses abendländische Empfinden nicht gar zu schnell und selbstverständlich als das allein richtige einschätzt, dann kann man sich fragen, ob an dieser Lehre von der Seelenwanderung nicht doch etwas Richtiges sein könnte.«

Die Lehre der Reinkarnation bestand dann in Europa besonders in sog. Geheimlehren weiter, die v.a. deshalb geheim sein mussten, weil sie sich gegen Folter und Tod durch die Inquisition schützen mussten. Diese höchst unchristliche Institution, sowie der Völkermord an die Katharer und seine Entstehungsgeschichte ab dem Konzil in Nicäa zeigen, dass das Kirchentum offensichtlich ein abgewandeltes und von Jesu Lehre entfremdetes Christentum ist. In dieser Entwicklung von Christentum zu Kirchentum ging die urchristliche Reinkarnationslehre verloren. Man  möchte sich eigentlich fragen, ob der Christus des Kirchentums auch der wahre Christus ist, oder eine Abwandlung als politische Konstruktion.

Hat die Fegfeuerlehre mit Reinkarnation zu tun?

Es gibt »Außenseitertheologen«, die das behaupten. Wir stellen fest:

•  Das Dogma vom Fegfeuer wurde gleichzeitig mit der Katharerausrottung zum Dogma erhoben.

•  Die Katharer sprachen von der Reinkarnation als ein Reinigungsprozess für die Seele.

•  Das Dogma spricht vom Fegfeuer als ein Reinigungsprozess für viele der Seelen.

Hat man also die Reinkarnationslehre der Katharer durch eine Fegfeurlehre ersetzen wollen? Das hat sogar Karl Rahner als möglich angedeutet!

Die katholische Lehre gibt drei Alternativen an:

•  Warst du gut genug, kommst du nach dem Tod in den Himmel,

•  warst du schlecht genug, kommst du (für immer!) in die Hölle,

•  aber warst du ein mäßiger Sünder, gehst du erst durch das Fegfeuer und dann in den Himmel.

Die gnostische Lehre ist:

•  Warst du gut genug, steigst du nach dem Tod in die unterste Ebene einer Engelhierarchie und gehst dann himmelwärts,

•  warst du schlecht genug, fällst du auf die Ebene von Dämonen und Widersachern, aber nur so lange, wie für Umkehr und Wandlung nötig (keine ewige Verdammnis!),

•  wer aber dazwischen liegt, wird wieder Mensch und geht durch die »Seelenreinigung der Reinkarnation«, und danach zunächst auf die unterste Ebene der Engelhierarchie.

Die Parallelen sind auffallend und sprechen für das Verständnis des Fegfeuers als die Reinkarnation – verschleiert und zu Unerkennbarkeit umbenannt!

Warum ging dann die christliche Reinkarnationslehre verloren?

Sie kommt ja heute wieder! Aber sie ging zuerst durch die Gründung der kirchlichen Lehre beim Konzil in Nicäa in 325 verloren. Das neue Glaubenssystem hat sie ausgeschlossen. Warum? Offensichtlich aus politischen Gründen! Kaiser Konstantin wollte die Kirche zum Werkzeug seiner Macht haben. Er führte Kriege und brauchte Soldaten. Wenn der Soldat weiß, dass er wieder geboren wird, und das vielleicht sogar auf der anderen Seite der Front, und dass Töten für ihn selbst schlimme Folgen hat, ist er nicht gut als Soldat brauchbar. Das Werkzeug der Macht sollte außerdem ein kräftiges und scharf geschliffenes sein. Der Mensch sollte glauben, nur durch die Kirche in den Himmel kommen zu können und nicht wissen, dass wir es alle tun, es ist nur eine Frage davon, nach wie vielen Inkarnationen. Wir sollten glauben, dass wir sonst für ewig verloren seien und nicht, dass am Ende alle gerettet werden.

Die Gnostiker lehrten also die Präexistenz und die Reinkarnation als Stufenweg zurück zu Gott. Um das Jahr 300 herum stellte Methodius eine neue Lehre auf: Der ganze Mensch, mit Leib und Seele, sei ursprünglich unsterblich gewesen; der Tod mit Trennung von Leib und Seele sei durch den Neid des Teufels in die Welt gekommen; Gott stelle mit der Auferstehung den Menschen mit Leib und Seele wieder her. Diese Lehre wurde in Nicäa übernommen, offensichtlich deshalb, weil sie in die Strategie Konstantins besser passte.

Gerechtigkeit und Barmherzigkeit

Was ist nun mit der Barmherzigkeit, Liebe und der Gerechtigkeit Gottes besser vereinbar?

•  Das kirchliche Dogma: Wer es nicht in diesem Leben schafft, wird für unendliche Zeiten und ohne Chancen für Rückkehr in eine Hölle verdammt, was wohl die Mehrzahl der Menschen bevorstehen dürfte, und das für ein endliches Vergehen, das nur einige Jahre oder Jahrzehnte dauerte. (Eine durch enorme Ausschussrate miserable Produktivität …)

•  Die christliche Reinkarnationslehre: Jede Seele wird schließlich erlöst. Die eine braucht dafür wenige, andere viele, manche sehr viele Inkarnationen, bis auch sie die Jakobsleiter zurück zum Himmel hinaufgeklettert sind.

 

Dr. Jan Erik Sigdell, Dutovlje 105, SI-6221 DUTOVLJE, Slowenien

www.christliche-reinkarnation.com

 

Eine Berichtigung:

Auf der Webseite http://www.relinfo.ch/karlen/info.html steht immer noch irrtümlich: „Besonders zynisch wirkt in diesem Zusammenhang eine Aussage wie diejenige von Jan Erik Sigdell, dass die Reinkarnationstheorie geeignet sei, das Böse in der Welt durch die Karmatheorie zu erklären.“ Dieses Fehlzitat versuchte ich schon vor Jahren – leider erfolglos – zu berichtigen. Richtig ist: „… das Leiden in der Welt durch die Karmatheorie zu erklären.“ Vom „Bösen“ war hier nie die Rede, und das wäre ein viel mehr weitläufiges Thema. Reinkarnation und Karma bilden aber, zusammen mit dem freien Willen, die bisher überzeugendste Lösung des Theodizee-Problems! Zu Barbro Karlén mag man übrigens auch hier lesen: http://www.christliche-reinkarnation.com/PDF/AFrank.pdf.