Aufklärende Einleitung

Es ist in diesem Artikel die Rede von hellsichtiger Wahrnehmung. Dies bedarf einer Aufklärung, weil unter Reinkarnationsgegnern (die wohl trotzdem auch reinkarnieren werden ...) einer von verschiedenen Wegerklärungsversuchen von Rückblicken (ob spontan, in Rückführungen oder anders) derjenige von unbewusst hellsichtiger Wahrnehmung einer anderen Person ist, die man nicht gewesen sei, aber mit der man sich unbewusst identifiziere. Hier geht es um etwas anderes. Es geht um die „hellsichtige“ Wahrnehmung der Person, die man in einer anderen Existenz selbst war. Jede Art von Wahrnehmung, die über die alltägliche hinausgeht, kann als „hellsichtig“ bezeichnet werden – auch die in einem veränderten Bewusstseinszustand entstehende Wahrnehmung von im unbewussten Ich verborgenen Erinnerungen.

Jan Erik Sigdell

 

 

Reinkarnation – Mythos oder Wirklichkeit?

(Erich Wahrendorf, Dr. Eisenreiterweg 1a, D-84359 Simbach a. Inn, Tel. 08571/8612)

 

Eine Theorie der Reinkarnation muss folgendes leisten:

1.   Sie muss eine eindeutige Definition der Reinkarnation geben.

2.   Sie muss einsichtig machen können, wie die Reinkarnation funktioniert.

3.   Sie muss aus diesem Funktionsmodell ableiten können, wie die Erinnerungen an ein „früheres Leben“ evoziert werden können.

4.   Sie muss eine Methode aufzeigen, wie die Echtheit dieser Erinnerungen erwiesen werden kann.

 

 

R1 Was verstehen wir unter Reinkarnation?

Unter Reinkarnation verstehen wir, dass ein Mensch nicht nur einmal den geschichtlichen Ablauf eines Lebens in einem Körper zwischen Geburt und Tod auf dem Planeten Erde durchlebt, sondern dass er vor seiner Geburt in das gegenwärtige Leben schon eine beliebige Anzahl solcher Leben gelebt hat und nach dem Verlust seines physischen Körpers (=Tod) noch leben wird.

 

 

R2 Wie kann man sich das Funktionieren der Reinkarnation vorstellen?

Nimmt man die Reinkarnation einmal an, so ergibt sich die Frage, wie sie funktioniert. Da der physische Körper einer Person mit dem Tode zu Grunde geht und aus der Perspektive der sinnlichen Erfahrung auch alle inneren Vorgänge in diesem Körper wie Wahrnehmen, Vorstellen, Fühlen, Denken und Wollen verschwinden, muss man im Falle der Reinkarnation annehmen, dass es in jedem Menschen einen Identitätskern gibt, der den physischen Untergang des Körpers überdauert. Reinkarnation bedeutet demnach, dass bestimmte Menschen, die an bestimmten Orten zu verschiedenen Zeiten ein Leben zwischen Geburt und Tod gelebt haben, im Hinblick auf diesen ihren Kern identisch sind.

Man kann sich den Vorgang der Reinkarnation anhand des Modells von der wandernden Münze veranschaulichen. Stellen wir uns eine bestimmte Münze im Wert von einem Euro vor. Ein Käufer erhält sie als Rückgeld an einer Kasse und steckt sie in seine Geldbörse. Er will an einem Automaten vor einem Postamt Briefmarken lösen. Er nimmt die Münze aus seinem Geldbeutel und steckt sie in den Schlitz des Automaten. Aus diesem entnimmt sie ein Angestellter der Post und bringt sie mit anderen Münzen zu einer Bank. In dieser legt sie ein Bankangestellter in eine Geldzählmaschine, und nachdem sie mit anderen Münzen deren Automatik durchlaufen hat, legt er sie in die Kasse und entnimmt sie daraus wieder, wenn er sie einem Kunden auszahlt, der die Münze wieder in seine Geldbörse steckt, aus der er sie hervorholt, wenn er in einem Laden damit bezahlt.

Unter der Euromünze kann man sich den Identitätskern vorstellen. Wird diese in eine Börse gelegt, so bedeutet das dessen Inkarnation (Geburt). Der Verbleib der Münze in der Börse bedeutet das Leben des Kerns im Körper. Wird die Münze der Börse wieder entnommen, so bedeutet das, dass sich der Identitätskern wieder von seinem physischen Körper trennt. Das ist der Tod.

Dieser Vergleich mag grob sein, er ist dafür aber anschaulich. Lässt sich der Prozess der Reinkarnation so verstehen?

Wir übertragen also das Beispiel von der Münze auf den Vorgang der Reinkarnation. In diesem Falle müssen wir annehmen, dass der Identitätskern in einer Art „substantieller Geistkugel“ besteht, welche sich mit einem werdenden Körper im Uterus einer Frau verkoppelt und mit der Geburt auf die Welt kommt. Wenn der Körper mit dem Tode für die Geistkugel unbrauchbar wird, löst sie sich wieder von dem Körper und geht in eine andere Sphäre der Gesamtwirklichkeit über. Man muss ferner annehmen, dass die Geistkugel die Erinnerungen an ihre bisherigen Reinkarnationen in sich speichern kann. Dadurch sammelt sie im Laufe ihrer Reinkarnationen eine Reihe von Erinnerungsschichten in sich an, in welchen sie unter bestimmten Voraussetzungen im aktuellen Leben lesen kann.

Bevor wir hier weitergehen, ist der Begriff der Substanz zu klären. Wir verstehen in diesem Zusammenhang die Substanz nicht im empirischen und naturwissenschaftlichen Sinn, so wenn wir z. B. sagen, ein bestimmter Gegenstand bestehe aus einem bestimmten Stoff, der eine bestimmte atomare oder molekulare Struktur aufweist.

Wir verstehen den Begriff der Substanz metaphysisch, weil wir uns mit der Vorstellung einer wandernden Geistkugel im Bereich der Metaphysik bewegen. Im metaphysischen Sinn gilt: „Per substantiam intelligo id, quod (1.) in se est, et (2.) per se concipitur, cujus conceptus non indiget conceptu alterius rei, a quo formari debeat.“ Soweit Baruch de Spinoza (1632 – 1677) in seiner Ethik (1. Teil, 3. Definition). Wir liefern die Übersetzung: „Unter Substanz verstehe ich das, (1.) was in sich ist und (2.) durch sich begriffen wird, dessen Begriff nicht bedarf des Begriffes eines anderen Dinges, von welchem er gebildet werden müsste.“1Von dieser Definition aus gelangt Spinoza zu weiteren Folgerungen, die implizit im Begriff der Substanz enthalten sind: Die Substanz ist der höchste Begriff, der keinem andern untergeordnet werden kann, vielmehr umgekehrt alle Begriff in sich fasst. Sie ist daher für uns unbegreiflich. Aus dieser Definition der Substanz folgt, dass sie unendlich und unbegrenzt (infinita) ist, ewig (aeterna), also weder endlich noch unendlich der Zeit nach, und eine einzige. Es kann logischerweise nicht mehrere Substanzen zugleich oder nacheinander geben, weil diese sonst einander begrenzten und daher nicht mehr unendlich sein könnten.

Diese Konzeption, die zu den einfachsten und genialsten gehört, die sich ein Mensch ausgedacht hat, leuchtet ein, aber es ist ebenso klar, dass es sich dabei um eine Idee handelt, nicht um eine mit wissenschaftlicher Methodik nachweisbare Realität. Wir können, so Kant, nicht von einem Gedachten auf die Wirklichkeit des Gedachten schließen. Aus diesem Grund verwenden wir den Substanzbegriff, wie hier vorgetragen, zunächst als eine methodische Hilfskonstruktion, die uns im Laufe unserer Überlegungen weiterhelfen soll.

So hilft uns der Substanzbegriff, die Hypothese eines substantiellen Selbst logisch zu prüfen. Die Substanz, so haben wir gesehen, kann nur unendlich sein, und das bedeutet: Es kann nur eine einzige Substanz geben. Betrachten wir unter diesem Aspekt die oben angeführte „Geistkugel“! Kann diese im Sinne Spinozas eine Substanz sein? Sie kann es grundsätzlich nicht, da sie endlich ist, und dass wir das sind, wissen wir unmittelbar aus unserer Selbsterfahrung. Es gibt nach der Hypothese der Reinkarnation auch nicht nur unsere „Geistkugel“, sondern deren beliebig viele. Die Substanz hingegen, so haben wir oben gesehen, ist nur eine einzige.

Aus diesem Grunde ist die Konzeption einer substantiellen Geistkugel nicht zu halten. Und wir müssen darin Gautama Buddha rechtgeben, wenn er in einer seiner Lehrreden sagt, dass es ein „ewiges Selbst“ nicht gibt.

Wir müssen uns daher nach einer anderen Konzeption der Reinkarnation umsehen. Nach der Lehre des Gautama Buddha wandert nicht eine substantielle Geistkugel von einem Körper in einen anderen, sondern der Komplex von Dharmas, aus welchen ein Mensch zu seinen Lebzeiten besteht, setzt sich in eine andere Existenz fort. Unter einem Dharma versteht man im Buddhismus einen Daseinsfaktor, der allerdings nicht unvergänglich, also substantiell ist. Solche Daseinsfaktoren sind in uns u. a. die Empfindung, das Gefühl, das Begehren, das Denken. Wir verstehen heute diese Faktoren als Funktionen unserer Psyche, die vom Gehirn getragen werden bzw. mit bestimmten Funktionen des Gehirn identisch sind. Es leuchtet ein, dass diese Funktionen, wenn sie mit denen des Gehirns identisch sind, mit dem Gehirntod ebenfalls aufhören zu existieren. Die Hypothese von der Fortsetzung dieser Daseinsfaktoren in einen anderen Körper hinein ist daher nicht plausibel zu machen. Aus diesem Grunde kann man bei allem Respekt Gautama Buddha die Hypothese von den Daseinsfaktoren, die sich von dem einen in das andere Leben fortpflanzen, nicht abnehmen.

Denn es gilt: Will ich die Hypothese von der Reinkarnation vertreten, dann muss ich ein Modell derselben entwerfen, das einsichtig macht, wie sie funktioniert. Kann ich dies nicht, dann muss ich die Hypothese der Reinkarnation fallen lassen. Das bedeutet allerdings auch, dass dann alle Schlussfolgerungen, die in ethischer Hinsicht aus der Hypothese der Reinkarnation gezogen werden, in sich zusammenfallen, wie z. B. die Lehre vom Karma. Warum sollen wir uns vor den Folgen eines schlechten Karmas fürchten und ein asketisches Leben führen, um aus „dem Rad der Wiedergeburten“ herauszukommen, wenn es dieses Rad gar nicht gibt? Buddha empfiehlt den mittleren Weg zwischen den Extremen exzessiver Triebbefriedigung und peinigender Askese. Diesen Weg kann man auch ohne den Glauben an die Reinkarnation gehen.

Wollen wir diese Hypothese aber trotzdem beibehalten, dann müssen wir uns nach einem anderen Modell umsehen. In diesem Zusammenhang gibt uns Buddha selbst einen Hinweis. Im Palikanon wird erzählt, dass ein Schüler den Buddha fragte, ob bei der Reinkarnation etwas von dem einem in den anderen Körper hinübergehe. Darauf antwortet Buddha: „Ich zünde mit einer Kerze eine andere Kerze an. Ging etwas hinüber? Ein Meister lehrt einen Schüler ein Gedicht. Ging etwas hinüber?“

Der Vergleich mit der Kerze, mit der man eine andere entzündet, gibt nichts her. Es ist nicht einsichtig zu machen, wie das Leben eines Menschen, wenn es mit dem Tode aufhört, ein anderes Leben verursachen könnte. Mit Zeugung bzw. Geburt verursacht ein Mensch ein Leben, das von dem seinigen verschieden ist, und setzt nicht sein eigenes in anderer Gestalt fort.

Sehr brauchbar ist allerdings der Vergleich mit dem Gedicht, das durch den Vortrag des Meisters in das Bewusstsein seines Schülers hinübergeht. Denn hier haben wir etwas, was einerseits seine Identität behält im Hinübergehen, anderseits aber keine Substanz ist, wie wir dies in dem Bild von der wandernden Münze gesehen haben.

Wir daher wollen daher das Bild von dem Gedicht eingehender erläutern.

Bei diesem Gedankenexperiment stellen wir uns vor, dass es nur einen Menschen gibt, der ein bestimmtes Wort in seinem Bewusstsein hat und dieses Wort in unregelmäßigen zeitlichen Abständen gemeinsam mit anderen Wörtern in einem Satz ausspricht.

Bei einem Wort unterscheiden wir zwischen dem Begriff, der Bedeutung, und dem lautlich oder schriftlich geäußerten Wort, also zwischen dem „Logos“ und dem „Etymon“ bzw. zwischen dem „verbum“ und dem „vocabulum“. Der Begriff, also die Bedeutung, bleibt sich selbst gleich, die Reihe artikulierter Laute, mit welchen der Begriff jeweils assoziiert ist, ändert seine Lautgestalt und seine Zeichengestalt von Sprache zu Sprache und von Zeit zu Zeit, denn jedes Wort hat mit der Sprache, der es angehört, auch seine eigene Geschichte.

Das Wort als „Logos“ ist als ein Abstraktum zu aller Zeit im Bewusstsein des besagten Menschen, das Wort als „Etymon“ äußert sich als ein sinnlich wahrnehmbares Konkretum jeweils an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit und beansprucht eine bestimmte Zeitstrecke, um ausgesprochen zu werden, oder nimmt einen bestimmten Raum ein in einem schriftlichen Dokument.

Führen wir dies näher aus. Der Logos ist ein bestimmter feststehender Begriff, wie z. B. der Begriff des Baumes, unter welchem wir eine große und holzige Pflanze verstehen. Dieser Begriff bleibt sich über alle Zeiten hinweg gleich. Seit es Menschen gibt, die denken und sprechen können, gibt es den Begriff des Baumes.

Der Begriff als solcher ist also transhistorisch. Er bleibt sich über die Geschichtsepochen hinweg gleich, denn er hat in jeder Sprache ein und dieselbe Bedeutung. Die Möglichkeit, Sprachen in einander zu übersetzen, beruht ja darauf, dass die einzelnen Wörter in ihrer jeweiligen Laut- und Zeichengestalt etwas gemeinsam haben, eben den besagten Logos.

Wenn wir den Vergleich deuten, dann entspricht dem Logos der oben angesprochene Identitätskern und dem Etymon die körperliche Gestalt, in welche dieser Identitätskerns zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort bei seiner Reinkarnation eingeht.

Der Vergleich lädt zu näherer Ausführung ein. Das Wort als Logos wurzelt im Bewusstsein eines Menschen. In Analogie dazu muss man, soll die Hypothese der Reinkarnation Räson haben, annehmen, dass es ein überräumliches und überzeitliches Bewusstsein gibt, in welchem der besagte Identitätskern enthalten ist. Diese Annahme gibt uns die Möglichkeit, eine Synthese zu finden zwischen der These Buddhas von der Nichtexistenz eines substantiellen Selbst und einer von der Hypothese der Reinkarnation geforderten Identität eines solchen Selbst, das den physischen Tod überdauert. Der Identitätskern ist nicht substantiell, denn er hat seine Existenz nicht aus sich selbst, sondern durch das oben angeführte überräumliche und überzeitliche Bewusstsein, von welchem man annehmen muss, dass es der aus sich selbst bestehende tragende Grund aller endlichen Erscheinungen und damit die Substanz im Sinne Spinozas ist.

Man kann sich so vorstellen, dass sich der Identitätskern, im unendlichen Bewußtsein wesend, bei einer Inkarnation an einen werdenden Körper im Uterus einer Frau anlegt und sich durch diesen Körper im Laufe von dessen Entwicklung in seine einzelnen Funktionen auseinanderlegt, wie wir sie oben angegeben haben: Begehren, Fühlen, Vorstellen und Denken.

Den besagten Kern darf man sich allerdings weniger als festen Punkt, sondern eher als dynamischen Quellpunkt im unendlichen Bewußtsein vorstellen, aus welchem die empirische Psyche „durch den Brunnen ihres Körpers“ ständig entspringt. Der Quellpunkt ist, da vom unendlichen Bewußtsein gehalten, nicht vergänglich, das, was ihm entquillt, eben die an den Körper gebundene Innenseite unserer Person, ist vergänglich.

Die Innen- und Außenseite unseres Wesens, also „Seele“ und Körper, entsprechen einander. Sie durchdringen sich und sind von einander nicht ablösbar. Der anatomische Ort, in welchem sie dynamisch ineinander greifen, ist das Gehirn. Die Funktionstüchtigkeit unserer Innenseite nach ihrer animalischen Sphäre (Hunger, Durst, Sexualität etc.), ihrer emotionalen Sphäre (Gefühle) und ihrer geistigen Sphäre (Denken, Erkennen, Planen und Handeln) ist relativ zur Funktionstüchtigkeit unseres Gehirns. Diese unsere aus dem transzendenten Quellpunkt durch den Körper hervorquellende Innenseite vergeht mit dem physischen Tode. Der Quellpunkt selbst bleibt vom überzeitlichen Bewußtsein gehalten.

Die Reinkarnation darf man sich demnach nicht so vorstellen, dass der Quellpunkt von einem zum anderen Körper „wandert“. Er behält seinen „Ort“ im unendlichen Subjekt (= unendliches Bewusstsein). Man kann diesen Quellpunkt auch mit der Lampe eines Projektors vergleichen. Diese bleibt an ihrem Ort, nur die Bilder des an der Lampe vorbeiziehenden Films wechseln ständig. Die Lampe ist energetisch, sie strahlt ständig. Mit dem Strom, der sie speist, könnte man das unendliche Bewusstsein vergleichen. Der Vergleich ist allerdings schief. Die Lampe im Projektor ist ein ruhender Gegenstand, der Quellpunkt bzw. Identitätskern steht dagegen in dynamischer Wechselwirkung mit seinem Körper.

Durch diese Überlegungen fällt auch Licht auf das „Leib-Seele-Problem“ in der Philosophie. Für Verhältnis von empirischer Innen- und Außenseite unserer Person gilt das Modell des Parallelismus, für das Verhältnis von Identitätskern und empirischer Person das Modell der Wechselwirkung von Körper und „Seele“. Beide Modelle ergänzen einander.

Man kann weiter annehmen, dass der Identitätskern im überzeitlichen Bewusstsein des unendlichen Subjekts seinen eigenen Erinnerungshof gebildet hat, welcher eine kleine Teilmenge der in diesem ewigen Bewußtsein gespeicherten Menge aller Geschehnisse im ganzen Universum repräsentiert. Das hier angenommene „Weltgedächtnis“ bedeutet, dass das unendliche Bewusstsein alle Prozesse, welche das Universum ausmachen, hellsehend in ewiger Gegenwart in sich hat. Man kann ferner annehmen, dass es diesen Weltprozess durch Psychokinese ständig neu erzeugt und weiterführt, ohne deshalb die Eigendynamik aller Erscheinungen im Universum vom Bereich der Quanten bis hinauf zum Menschen aufzuheben. Das Verhältnis zwischen dem ewigem Bewußtsein und der Welt ist ein solches der ständigen Wechselwirkung.

Wir kehren nach diesem Exkurs zurück zum Modell der Reinkarnation im Bild der Sprache. Man kann sich mit Hilfe dieses Modells den Prozess der Reinkarnation differenzierter und anschaulicher verstellen.

So entspricht in diesem Prozess der Logos in der Sprache dem überzeitlichen Quellpunkt bzw. Identitätskern unserer Psyche und der Inkarnation dieses Kerns entspricht die Aussprache dieses Logos in der spezifischen Lautgestalt eines Wortes, mit welchen dieser Logos in einer bestimmten Sprache zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Raum assoziiert ist.

Der Vergleich reizt zu weiteren Gedankenspielen. Der Logos kann in der Aussprache mit anderen Wörtern in einem Satz verbunden sein. Das können solche sein, die ihm entsprechen und eine positive Bedeutung haben, wie z. B. die Wendung „blühender Baum“. Es können aber auch Wörter sein, die ihm widersprechen und eine negative Bedeutung für das Nomen haben, wie z. B. „ein dürrer Baum“. Das kann bedeuten, dass ein Mensch in einer Reinkarnation mit Menschen verbunden ist, die er liebt und die ihm wohl gesonnen sind, oder dass er mit solchen leben muss, die ihm nicht liegen und die ihm das Leben schwer machen. Der Logos kann in einem Gedicht vorkommen oder er kann in einer amtlichen Verordnung stehen. Das kann bedeuten, dass ein Mensch in einer schönen und edlen Umgebung aufwächst und lebt oder in einer nüchternen und freudlosen. Der Logos kann in einer kalligraphischen Schrift verkörpert sein oder als Gekrakel auf ein Stück schmutzigen Papiers hingeworfen sein. Das kann bedeuten, dass ein Mensch in einem schönen Körper zur Welt kommt, durch den er sich kraftvoll in das Leben hinein entwirft, oder dass er in einem schwächlichen und verkrüppelten Körper sein Leben fristen muss. Der Logos kann in verschiedenen Sprachen erscheinen, wie z. B. der Logos der großen und hölzernen Pflanze als „tree“ im Englischen, als „arbor“ im Lateinischen, als „dendron“ im Altgriechischen. Das bedeutet, dass ein Mensch bzw. eben dessen Identitätskern in die eine oder anderen Ethnie oder Nation hineingeboren werden kann.

Wir fassen zusammen: Das Verhältnis von „Logos“ und „Etymon“ gibt uns die Möglichkeit, das Modell einer Synthese zu finden zwischen der Lehre von „der Nichtexistenz eines ewigen Selbst“ (Gautama Buddha) und dem Postulat eines identischen „Seelenkerns“, ohne den sich der Prozess der Reinkarnation nicht schlüssig darstellen lässt. Die Hypothese der Reinkarnation wird dadurch plausibel. Allerdings stellt die Plausibilität eines Modells noch keinen Beweis für dessen Richtigkeit dar. Bei einem solchen müssen zwei methodische Fragen geklärt werden.

Erste Frage: Wie soll die Erinnerung an ein früheres Leben funktionieren und wie kann man diese evozieren?

Zweite Frage: Wie lassen sich die von den Versuchspersonen zu Protokoll gegebenen Erinnerungen falsifizieren bzw. verifizieren?

 

 

R 3 Wie kann die Erinnerung an ein früheres Leben funktionieren und wie kann sie sich evozieren lassen?

Das Funktionieren der Erinnerung an ein früheres Leben lässt sich aus dem oben dargelegten Modell ableiten.

Wir rekapitulieren: Um eine plausible Hypothese der Reinkarnation zu entwerfen, mussten wir annehmen, dass es ein unendliches, d. h. über Raum und Zeit souveränes, Subjekt gibt, in welchem Energie und Bewußtsein zu einer untrennbaren Einheit verschmolzen sind. Dieses Subjekt, von uns oben auch als unendliches Bewußtsein bezeichnet, repräsentiert die letzte Wirklichkeit schlechthin. Es ist, da unendlich, grundsätzlich nicht mehr hintergreifbar.

Wir mussten weiter annehmen, dass dieses unendliche Subjekt alle endlichen Seinsformen setzt. Diese finden wir nach dem heutigen Stand des Wissens in den Raum- und Zeitquanten und in den Strings. Darunter versteht man in der Quantenphysik eindimensionale „Fäden“, die in mehreren Dimensionen schwingen und in ihrem jeweiligen Schwingungsmodus ein bestimmtes Elementarteilchen des Standardmodells darstellen.

Wir mussten ferner annehmen, dass das unendliche Subjekt auch die oben angeführten Identitätskerne setzt, welche so zwar nicht aus sich selbst heraus unvergänglich sind, ihre Überzeitlichkeit aber von dem unendlichen Subjekt erhalten, in welches sie eingebettet sind.

Wir mussten weiter annehmen, dass jeder Identitätskern im Laufe seines Lebens in einem physischen Körper in dem unendlichen Subjekt einen Erinnerungshof bildet, in welchem seine Biographie festgehalten ist. Nimmt man eine Reihe von Leben in verschiedenen physischen Körpern an, dann stellt jede gelebte und mit dem Tod abgeschlossene Biographie einen weiteren „Jahresring“ in diesem Erinnerungshof dar.

Da das unendliche Subjekt das ganze Weltgeschehen in überzeitlicher Gegenwart (Nunc stans) in sich hat, stellt der besagte Erinnerungshof nur eine winzige Teilmenge dieses „Weltgedächtnisses“ dar. Der Erinnerungshof ist also nicht im Identitätskern, sondern dieser ist mitsamt seinem Erinnerungshof im unendlichen Subjekt. Im Bild gesagt: Das Internet ist nicht im Computer, sondern der Computer ist im Internet.

Wir mussten weiter folgern, dass die Wahrnehmung und die Wirkung des unendlichen Bewusstseins durch Hellsehen und Psychokinese erfolgt, da dieses wegen seiner Unendlichkeit keine Gestalt hat und demnach auch keine Sinnesorgane

Da wir annehmen, dass der Identitätskern dem unendlichen Subjekt entspringt, muss man folgern, dass auch dieser ein hellsehend wahrnehmendes und psychokinetisch agierendes Subjekt ist. Auch dieser Kern nimmt primär wahr durch Hellsehen und agiert primär durch Psychokinese. Der Kern wirkt in unserem physischen Leben psychokinetisch auf das Gehirn ein und bewirkt dadurch, dass dieses die entsprechenden Befehle über die Nerven an die Bewegungsorgane seines Körpers weitergibt.

Begründender Einschub: Wir nehmen die Inhalte unseres Bewusstseins, die willkürlich erzeugten und die spontan aufsteigenden, unmittelbar, d. h. ohne Vermittlung durch unsere Sinne wahr (Phantasie). Es ist zu vermuten, dass unser endliches Subjekt auch die komplexen neuronalen Bahnungsmuster in unserem Gehirn, die den von den Sinnen einlaufenden Nervenimpulsen entsprechen, hellsehend wahrnimmt und in die Qualitäten der uns umgebenden Gegenstände und Vorgänge umsetzt, welche Qualitäten es dann auf die diesen entsprechenden äußeren Gegenstände (= atomare Schwingungspakete) projiziert.

Die Erinnerung an ein früheres Leben kann also nur so funktionieren, dass das endliche Subjekt hellsehend diejenigen Inhalte im Weltgedächtnis des unendlichen Subjekts abliest, die sich auf die Biographie seines  früheren Lebens in einem anderen Körper beziehen.

Wir wissen aus unserer unmittelbaren Alltagserfahrung, dass dies gewöhnlich nicht der Fall ist. Es muss demnach eine Arretierung in unserem Bewußtsein geben, welche die Funktion des Hellsehens auf die Vorgänge in unserem Gehirn und in unserem unmittelbaren Bewußtsein beschränkt.

Der Sinn dieser Arretierung dürfte darin liegen, dass sie uns das Erkennen der Welt schwer macht. Wir sind bei unseren Bemühungen um Erkenntnis auf unsere Sinne angewiesen und auf unser Denkvermögen, mit welchem wir die Sinnesdaten ordnen und aus ihnen Schlüsse ziehen. Die Arretierung zwingt uns also zur Anstrengung der geistigen und praktischen Forschungsarbeit. Erst in dieser kann sich unser Geist entwickeln, wie dies bei unseren Muskeln geschieht durch sportliches Training. Trotzdem mag die Lockerung dieser Arretierung bei einzelnen Individuen zu vertreten sein, da wir in unserer Entwicklung als Menschheit vielleicht an jenen Wendepunkt unserer Geschichte gelangt sind, an welchem uns nur noch die Erweiterung unserer Erkenntnis in die metaphysische Dimension hinein helfen kann, den Materialismus und den religiösen und ideologischen Fanatismus zu überwinden.

Wenn wir die Frage, wie sich Erinnerungen an frühere Leben in uns hervorrufen lassen, beantworten wollen, dann geht es darum, eine Methode zu finden, durch die sich besagte Arretierung aufheben lässt.

Wie könnte die Lockerung der Arretierung bewirkt werden? Bei den sogenannten Rückführungstechniken, durch welche Erinnerungen an frühere Leben hervorgerufen werden sollen, wird die Hypnose ins Feld geführt. In dieser, so nimmt man an, steigen die Erinnerungen an ein früheres Leben aus dem Unbewussten empor.

Als weitere Methode wird die Meditation genannt. Bei dieser geht es darum, durch geduldige Übungen den Geist dahin zu bringen, dass er von allen Inhalten völlig leer wird, seien diese nun durch die Sinne von außen oder durch Vorstellungen von innen verursacht. Ist dies gelungen, dann kann unser endliches hellsehendes Bewusstsein (= Identitätskern) das unendliche hellsehende Bewusstsein hellsehend wahrnehmen, in welchem es wurzelt.

Diese innere Erfahrung, die nach den Berichten derjenigen, die sie erlebt haben, ihre eigene Evidenz hat, wird als Erleuchtung oder auch als „unio mystica“ bezeichnet.

Da wir oben gesehen haben, dass in dem unendlichen Subjekt alle Dinge und Vorgänge im Universum gegenwärtig sind, zu welchen auch der Erinnerungshof des endlichen Subjekts gehört, muss dieses im Zustand der Erleuchtung auch diejenigen Inhalte im unendlichen Subjekt ablesen können, die sich auf seine früheren Verkörperungen beziehen.

Wir sprachen oben von der Arretierung. Wir nahmen mit guten Gründen an, dass wir als endliches Subjekt bei unseren Handlungen psychokinetisch auf unser Gehirn einwirken, welches dann die betreffenden Organe unseres Körpers zu bestimmten Bewegungen veranlasst. Wir können daher vermuten, dass auch die Arretierung psychokinetisch wirkt. Aus diesem Grunde kann diese psychokinetisch wirkende Barriere nicht durch äußere Kräfte überwunden werden, sondern ebenfalls nur durch Psychokinese. In der Meditation wirkt unser Wille psychokinetisch dieser psychokinetisch wirkenden Barriere entgegen. Der Wille muss also durch die Disziplin der Meditation soweit gestählt werden, dass er dies vermag. Die Methode der Meditation ist deshalb allen anderen Methoden vorzuziehen, da sie exakte innere Arbeit verlangt und nicht auf fragwürdige okkulte Praktiken zurückgreift.

 

 

R 4 Mit welcher Methode lassen sich die auf obigem Wege gewonnenen Erinnerungen an frühere Leben falsifizieren oder verifizieren?

Wir haben oben gezeigt, dass Erinnerungen an frühere Leben nur durch die Anwendung des Hellsehens gewonnen werden können. Eine solche Gewinnung ist aber zunächst nur ein Hinweis auf eine Reinkarnation, noch kein Beweis. Wodurch können die Hinweise zu Beweisen erhärtet werden?

Die Antwort liegt auf der Hand: Die Aussagen einer Person über ihr früheres Leben müssen den Regeln der Logik standhalten und durch die sinnliche Wahrnehmung bestätigt werden. Wir müssen also eine formale (logische) und eine materiale (inhaltliche) Überprüfung der Aussagen über ein früheres Leben durchführen.

Die formale Überprüfung der Aussagen nach den Regeln der Logik ist das erste Filter, welches uns gestattet, unglaubwürdige Aussagen von glaubwürdigen zu trennen.

Was sind die z. B. Merkmale von unglaubwürdigen Aussagen?

Sie sind vage und allgemein gehalten. (Ich war ägyptische Tempeltänzerin.) Sie sind ihrem Inhalt nach phantastisch. (Ich war Julius Cäsar.) Sie enthalten geschichtliche Ungereimtheiten, also Anachronismen. (Ich musste als Mönch im Mittelalter in einem eisernen Bett schlafen.) Sie enthalten Inhalte, die sich in der Lektüre oder der Umgebung der „sich erinnernden“ Person auffinden lassen.

Was sind die Merkmale glaubwürdiger Aussagen?

Sie enthalten viele konkrete Einzelheiten aus dem Leben der sich erinnernden Person. Sie sind von der Biographie her alltäglich. Das ist zu erwarten, da die meisten Menschen in sehr banalen Alltagssituationen lebten und leben. Sie sind geschichtlich authentisch, d. h., sie enthalten konkrete Einzelheiten und Erfahrungen, die für die Epoche, aus der sie berichtet werden, charakteristisch sind.

Ist die formale Überprüfung positiv ausgefallen, muss man das zweite Filter verwenden, das der materialen Überprüfung der Aussagen über ein früheres Leben. Diese erfolgt dadurch, dass ein Forscherteam, dem die protokollierten Aussagen der sich erinnernden Person vorliegen, an den Orten, welche diese Person für ihr früheres Leben angegeben hat, nach entsprechenden Quellen sucht, die deren Aussagen bestätigen. Dies kann z. B. der Name sein, den die sich erinnernde Person angeben hat, und der sich im Taufregister der Kirche ihres „früheren“ Lebensortes findet. Die Überprüfung wird besonders glaubwürdig, wenn die Quellen, auf welche die sich erinnernde Person hingewiesen hat, durch das Forscherteam erst entdeckt werden. Wir konstruieren ein Beispiel. Die Person hat z. B. berichtet, dass es in der Umgebung ihres früheren Lebens zwischen zwei historischen Gebäuden einen Verbindungsgang gegeben hat, in dessen Seitennische wertvolle Münzen einer bestimmten Prägung vergraben wurden.

Das Forscherteam stellt vor Ort fest, dass keine Person von dem besagten Verbindungsgang etwas weiß. Das Team setzt eine archäologische Grabung durch, die nicht nur den Gang aufdeckt, sondern in einem Krug in einer Wand des Ganges auch die Münzen von der Art findet, welche die sich erinnernde Person genannt hat. Da von dem Gang und den Münzen kein Zeitgenosse bis dato etwas gewusst hat, konnte die sich erinnernde Person ihr Wissen nur auf paranormale Weise, also durch Hellsehen, gewonnen haben. Man kann hier natürlich einwenden, dass es sich bei den Angaben der betreffenden Person um selektives Hellsehen handelt, durch welches sie mit einem bestimmten Inhalt des Weltgedächtnisses in Kontakt trat. Man muss sich dann allerdings auch fragen, warum sie sich gerade diesen Inhalt holte und nicht einen beliebigen anderen.

Dieser angenommene Fall stellt allerdings eine Idealkonstruktion dar, die in der Realität nur sehr selten vorkommen dürfte. Dazu kommt, dass die Suche nach entsprechenden geschichtlichen Quellen sehr aufwendig ist. Man muss daher nach einem Kriterium suchen, das ebenso stichhaltig ist wie eine gefundene schriftliche oder gegenständliche Quelle, das sich aber wesentlich leichter nachweisen lässt.

Rein theoretisch gibt es eine solche Quelle, die den Vorteil hat, dass sie einerseits konkret und spezifisch ist für eine bestimmte Region und eine bestimmte Epoche und sich andererseits leicht aufdecken und überprüfen lässt. Worin besteht diese Quelle? Sie besteht in der Sprache. Das Kriterium der Sprache hat folgende Vorteile:

Es stellt ein inhaltlich genau definiertes Konkretum dar und nicht nur eine allgemeine Behauptung. Wir finden hier also die alltäglichen und epochenspezifischen Merkmale, die wir oben forderten. Dabei genügt es nicht, dass die sich erinnernde Person nur einige „Wortfetzen“ von sich gibt, sie muss vielmehr in zusammenhängenden Sätzen sprechen können. Die Sprache wird für den Fall, dass die Person in ihrem früheren Leben der Unterschicht angehörte, einen restringierten Code aufweisen. Aber gerade dies spräche für die Authentizität der Erinnerung, da die Wahrscheinlichkeit, in der Vergangenheit auf eine gewöhnliche Biographie zu stoßen, wesentlich größer ist als das Aufdecken einer außergewöhnlichen.

Es lässt sich leicht überprüfen, ob die sich erinnernde Person die besagte Sprache in ihrem gegenwärtigen Leben lernen oder in Bruchstücken aufschnappen konnte, oder ob dies völlig unmöglich war. Die betreffende Person spricht z. B. einen chinesischen Dialekt, dessen Wortschatz charakteristisch ist für das frühe 19. Jahrhundert in Südchina. Sie selbst war aber noch nie in China und hat keine Ahnung von Sinologie. Es lässt sich bei der durch die Versuchsperson geäußerten Sprache auch leicht ermitteln, ob es sich bei dieser um eine Phantasiesprache handelt, die das Unbewusste der Person erfunden hat, oder um eine historisch echte Sprache.

So kann man abschließend feststellen, dass die Demonstration einer von der jeweiligen Versuchspersonen erinnerten und in Lauten wiedergegebenen früheren Sprache, die sich auf Tondokumenten festhalten lässt, die Nagelprobe darstellt für die Echtheit von Erinnerungen an eine Reinkarnation.

 

Fine

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[1] Vgl. hierzu: Friedlein Curt, Lernbuch und Repetitorium der Geschichte der Philosophie, Bruno Wilkens Verlag in Hannover 1951 (9), S. 131