Wendezeit 4/2000, S. 48-49

 

Wer ist Lilith?

Die Schöpfung der Menschen in biblischer und babylonischer Sicht.

Von Jan Erik Sigdell, Slowenien

 

Lilith spielt eine wichtige Rolle in der jüdischen Mythologie und auch in der Kabbalah. Man kann z.B. im Sohar über sie lesen. Wer ist diese Wesenheit? Einiges wurde im Artikel von Uri Geller in Wendezeit 3/00, S. 20-21, geschrieben, wo es auch steht, dass sie heute eine Art von Renaissance, u.a. in Frauenbewegungen, erlebe.

 

Etwas was unser kirchliches Dogma stillschweigend übergeht, aber die Ethnologen und Forscher der babylonischen Sprache und Keilschriften in Büchern und Fachzeitschriften viel erörtert haben, ist, dass die Schöpfungsgeschichte in Genesis, dem 1. Buch Mose, ihren Ursprung offensichtlich in noch älteren babylonischen Schriften haben. Dies zeigte sich allmählich, als man im 19. Jahrhundert immer mehr der alten Keilschrifttafeln übersetzen konnte. Es trat ein Schöpfungsmythos hervor, der auffallende Parallelen zum biblischen hat. Viele meinen, dass die Version im Alten Testament eine Übernahme in stark verkürzter und teilweise abgeänderter Form ist, vielleicht durch anfängliche mündliche Überlieferungen abgewandelt.

Es steht in den Keilschrifttafeln des Textes Enuma Elish von Göttern, die die Erde und dann die Menschen erschaffen haben [1]. In der Bibel sagt Gott: «Lass UNS Menschen machen, ein Bild, das UNS gleich sei …» (1. Mos. 1:26). Die Mehrzahl tritt wieder in 1. Mos. 3:22 auf: «Siehe, Adam ist wie einer von UNS geworden …». Was aber hier mit «Gott» übersetzt wurde, ist das hebräische Wort Elohim, dass in Wirklichkeit die Mehrzahl von El = Gott (mehr poetisch auch Eloah) ist. Die richtige Übersetzung ist also nicht «Gott», sondern «Götter»! Das Dogma meint aber, dass es sich hier um ein pluralis majestatis handele, was ich für eine Notlösung in einem theologischen Bedrängnis halte … Es widerspricht nicht einer monotheistischen Auffassung, dass es dem höchsten Gott unterstellte weitere Götter gibt!

Es steht in der Bibel übrigens auch, dass Er (sie) die Menschen als Mann und Frau in Seinem (ihren) Abbild erschaffte(n). Also ist auch die Frau gleichwertig als Ebenbild Gottes erschaffen!

Es handelt sich hier offensichtlich um eine erste Erschaffung der Menschen. Sie sollten mit Gottes Segen sich vermehren und die Erde erfüllen, was geradezu ein Gebot zur Sexualität beinhaltet.

Dann wechselt die Gottesbezeichnung im 1. Buch Mose zum «Gott der Herr». Im Originaltext steht nicht mehr Elohim, sondern ab 1. Mos. 2 der Name JHWH, und dieser Name wird eben als «der Herr» übersetzt [2]. Es ist JHWH, der einen Garten Eden erschafft und Adam aus Lehm und seinem Odem entstehen lässt, den er effektiv als «Gärtner» dort einsetzt (1. Mos. 2:5-8). Was er einblies, war Adams Seele (hier wurde das hebräische Wort ruah = Seele mit «Odem» übersetzt).

Im Garten Eden gab es den Baum der Erkenntnis vom Guten und Bösen, und Gott verbat Adam, davon zu essen (1. Mos. 1:17), da er sonst sofort sterben würde. Das Dogma will im Essen von diesem Baum die Sexualität sehen, was aber nicht gut sein kann, denn Adam war noch ganz alleine. Gemäß der Geschichte in der Bibel hatte er nämlich noch keine Sexualpartnerin! Eva war sogar noch nicht einmal vorgesehen …

Gott sah, dass Adam alleine war, und erschuf ihm Tiere zur Gesellschaft. Er sah jedoch, dass Adam mit den Tieren immer noch alleine war, und entschloss sich erst dann, ihm Eva als Partnerin zu erschaffen (1. Mos. 1:22). Wie wir wissen, hat die Schlange Eva zum Essen von jenem Baum verführt. Sie sagte, dass sie gar nicht sterben würden – und hatte, soweit, recht! Allerdings, was ist «sterben»? Die Seele ist ja unsterblich! Sterben ist nur ein Übergang von einem Zustand zu einem anderen. Wahrscheinlich sind sie doch in dem Sinne «gestorben», dass sie ihr höheres Bewusstsein verloren haben. Sie «fielen ab» zu einem irdischen Bewusstsein. Warum? Das «Essen vom Baume der Erkenntnis» kann also nicht mit Sexualität zu tun haben. Es kann aber durchaus mit dem Erkennen der eigenen Individualität zu tun haben, was aber hier ihr Entwicklungsziel vorausgegriffen hat. Verfrüht erstrebten sie eine Art von «Emanzipation vom Göttlichen» [3]. Deshalb wurden sie in ein niedrigeres Bewusstsein versetzt: Der Fall der Engel (Adam und Eva dürften symbolisch für sie alle stehen). Sie sahen dann ihren feinstofflichen Leib nicht mehr und hielten sich deshalb für «nackt». Und das also nicht etwa aus sexueller Scham …

Adam und Eva zeugten Söhne. Der eine Sohn nahm sich eine Frau (der andere wurde ja ermordet, und das ist wohl viel eher eine Ursünde der Menschheit!). Er zeugte mit ihr Söhne, die sich wiederum Frauen nahmen. Woher kamen wohl diese Frauen? Des Rätsels Lösung wird sein, dass eben vor Adam schon Menschen erschaffen wurden (s.o.), die außerhalb von Eden lebten – dort, wohin sie nach ihrer Vertreibung haben gehen müssen.

Ziemlich bald begegnen wir dem Prinzip des Karma im Bibeltext: «Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll durch Menschen auch vergossen werden» (1. Mos. 9:6).

Im babylonischen Schöpfungsmythos werden verschiedene Götter erwähnt, die den Mensch aus Knochen (die Marduk, der babylonische Jupiter, machte) sowie aus mit Lehm vermischtem Blut eines erschlagenen Gottes erschufen. Es gibt eine Legende von Adapa, der ein Heiligtum pflegte, das die Götter als Ruhestätte auf Erden erschaffen hatten. Dieser Adapa hat einmal mit magischer Kraft den südlichen Wind geschädigt (ihm wurde «einen Flügel» gebrochen). Deshalb wurde er zum Gott Anu vorgeladen, der erkannte, dass Adapa wie einer von ihnen geworden war (vgl. 1. Mos: 3.22). Ihm bat er dann die Speise der Unsterblichkeit an, die Adapa nicht annahm. Deshalb musste er sterblich bleiben, und nach ihm die Menschen, als er wieder auf die Erde zurückversetzt war. Hier wollte er nicht davon essen, in der Bibel hat er es nicht tun dürfen … [1].

Der südliche Wind ist nach der Kabbalah die Kraft der Lilith [4]. Und hier kommen wir zu einem anderen Berührungspunkt Bibel - Babel.

Lilith wird in der Bibel fast gar nicht namentlich erwähnt, aber sie gilt als die Schlange im Garten Eden. Sie wird in Isaias 34:14 als «Kobold» bezeichnet. In der Englischen St. James Bible an dieser Stelle mit «screech owl» oder «Schreieule» übersetzt. In der schwedischen Bibel von 1917 und der New American Bible steht sie sogar namentlich als Lilith erwähnt. In der italienischen als «spettro notturno» oder Nachtgespenst. Die lateinische Vulgata-Bibel hat lamia, ein weibliches Gespenst. Die Übersetzung «Nachteule» kommt auch vor.

Ihre Entsprechung in Babylon ist die Göttin Tiamat, die als halb Frau, halb Schlange beschrieben wird. Sie ist die Mutter vieler Götter aber kämpfte auch gegen sie. Ihr Element ist das Wasser. Das Wort Tiamat hat mit dem Wort tamtu = «Ozean, Tiefe» zu tun und hat den gleichen etymologischen Ursprung wie das hebräische Wort tehom, das «Tiefe, Abgrund» bedeutet [1]. Es kommt im 1. Mos. 1:2 vor: «Finsternis war über dem Abgrund.»

Tiamat bereitete sich voller Zorn für einen üblen Angriff auf die Götter vor, die sie hasste, obwohl sie zum Teil von ihr stammten. Jedoch gingen einige der Götter auf ihre Seite über, sich an den üblen Plänen beteiligend. Am Schluss hat Marduk Tiamat besiegt und sie umgebracht. Er schoss einen Pfeil durch ihren Mund, der ihr Inneres zerriss.

Ihr Erstgeborener war Kingu, dem von ihr die Macht über Götter gegeben wurde. Diese wollten sich dagegen wehren, was den Hass Tiamats erweckte. Am Schluss des Kampfes wurde auch Kingu getötet, da er Anlass des Kampfes war. Aus seinem Blut wurde die Menschheit erschaffen.

Aber nicht nur die Seelen der Menschen, sondern noch mehr die Götter, sind ja in Wirklichkeit unsterblich. Sie verlassen nur ihre derzeitige Gestalt. So hat natürlich Tiamat/Lilith weiter existiert. Der Sohar spricht von ihr als das Urweibliche. Sie ist die erdenhafte sexualkräftige Frau, die nach jüdischer Mythologie Adams erste Frau war. Sie wollte beim Sex nicht unter ihm liegen, da sie sich für ebenbürtig hielt. Als dann Adam Macht über sie ausüben wollte, flüchtete sie und ergab sich später einem promiskuösen Dasein mit Dämonen, von welchen sie täglich viele Dämonenkinder gebar [4]. Gott hat dann Adam aus seiner eigenen Substanz eine zweite Frau erschaffen, die Eva. Diese Geschichte, die anders ist als jene der Bibel, widerspricht ebenfalls die Irrdeutung des Dogma, dass der Sündenfall durch das «Essen vom Baum der Erkenntnis» die Sexualität sei. Mit Lilith hat Adam demnach ein scheinbar intensives Sexualleben geführt, wogegen Gott offenbar nichts hatte. Lilith hat dann aus Eifersuchtsrache die Eva zum Essen vom Baum verführt, und Eva wiederum Adam. Um die Sexualität kann es sich hier nicht handeln!

Neumann schreibt in einem Artikel «The Stages of Feminine Development», dass eine Frau für ihr psychologisches Wachstum Liliths Qualitäten von Freiheit, Bewegung und Instinktmäßigkeit in sich integrieren müsse [4]. Lilith als Symbol dieser Eigenschaft der Frau will sich nicht binden. Sie will Gleichheit und Bewegungsfreiheit und offensichtlich auch eine ungehemmte Sexualität.

Lilith ging später eine Ehe mit dem Teufel Samael ein. Von dieser Beziehung heraus wird sie auch mit dem biblischen Drachen Leviathan verbunden (Job 41.1, Psalm. 74:14 und 104:26, Isai. 27:1) [5]. Gott machte sie wegen dieser Geschichte unfruchtbar. Sie ist deshalb auf schwangeren Frauen neidisch und will ihre Kinder rauben. Eva ist das Mütterliche, Kinderfürsorgliche aber auch Abhängige in der Frau, Lilith das für Kinder totbringende aber freie und unabhängige Gegenstück. Aber diese Geschichten haben ihre Widersprüche. Sie spielt auch mit schlafenden Kindern und bringt sie zum Lächeln. Sie kitzelt sie und macht ihnen Freude. Und doch bringt sie ihnen auch Epilepsie, Ersticken und Tod … [4].

So wenn Lilith (gemäß Geller) eine Art von neuer Verehrung zu genießen scheint, dürfte dies ein zweischneidiges Schwert sein. Es scheint auch etwas sehr Dunkles darin zu sein. Der berüchtigte englischer Magier Aleister Crowley soll Tiamat mit Satan assoziiert haben … [6]. Der Teufel hat wie Lilith/Tiamat auch mit der Tiefe zu tun: Teufel = «Tiefling» (vgl. «Teufe, Teufi» = Tiefe in manchen Mundarten). Gibt es da einen Zusammenhang?

 

Referenzen

  1. Alexander Heidel: The Babylonian Genesis, Univ. of Chicago Press, Chicago, 1960.
  2. Jack Miles: God. A Biography, Touchstone, London, 1998.
  3. Jan Erik Sigdell: Rückführung in frühere Leben, Kapitel 1: «Das Märchen vom Ego und vom unbewussten Ich», Scherz, Bern, 1998.
  4. Barbara Black Koltuv: The Book of Lilith, Nicolas-Hays, York Beach (Maine), 1986.
  5. A.E. Waite: The Holy Kabbalah, University Books, Secaucus N.J., 9. Druck 1975.
  6. Simon (Herasugeber): Necronomicon, Avon, New York, 1980.

 

Jan Erik Sigdell wurde in Schweden geboren, lebte 30 Jahre in Basel und hat sich Anfang 1997 mit seiner slowenischen Frau in ihrer Heimat niedergelassen. Er ist Reinkarnationstherapeut und lehrt in ganz Europa die Technik des Bryan Jameison, die er mit eigenen Methoden ergänzt hat [3]. Interessenten bekommen Auskunft über Seminare unter seiner Adresse: Dutovlje 105, SI-6221 DUTOVLJE, Slowenien.