Wendezeit 2/01, S. 21-23


Achtung Meinungssteuerung!      
Jan Erik Sigdell, Slowenien

           
Hugo Stamm hat ein Buch Achtung Esoterik geschrieben (Pendo Verlag, Zürich, 2000), in dem er an der Esoterik kein gutes Haar lässt.
Es wird nach und nach alles abgewertet, bis am Schluss nur die Schulwissenschaft mit ihrem materialistischen Vorurteil übrig bleibt. Hier befasse ich mich mit dem Kapitel 8: „Im Bann von Rückführungen und Karmaglaube", das derart viele Behauptungen, Fehler und Unterstellungen enthält, dass die Bloßlegung davon ziemlich leicht fällt. Andere mögen sich mit den anderen Kapiteln befassen. Stamms Behauptungen werden fett (oft in meinen Worten zusammengefasst) wiedergegeben; meine Kommentare dazu in Normalschrift. Wo Kommentare und Wiedergaben vereint sind, ist der Text kursiv geschrieben.   
           
Im Hinduismus sei Karma ein Fatalismus, der nicht mit „Bestrafung" für böse oder „Belohnung" für gute Taten zu tun habe. Karma bedeute die Vorstellung vom Nicht-Handeln. Aktivität gelte es unter allen Umständen zu vermeiden.
(S. 78-79).    
    Entweder versteht Stamm die indische Lehre von Karma und Reinkarnation nicht, oder er verdreht sie als bewusste Taktik. Ein Widerspruch steht z.B. in Bhagavad-Gita II.47: Wer auf die Früchte des Tuns schielt, wird sie nicht bekommen, sondern nur derjenige, der nicht mit ihnen rechnet. D.h., wer mit Berechnung gut ist, erntet das gute Karma nicht, sondern nur wer ohne Berechnung gut ist, weil er auf sein Herz hört und nicht nur auf seinen Verstand.       
    Man sagt in Indien auch, dass das Nicht-Handeln unmöglich ist. Wenn man in einer Ecke sitzt und gar nichts tut, ist das auch ein Handeln. Unterlassenheitstaten verursachen ebenfalls Karma. Was zählt, ist die Qualität des Handelns und die damit verbundene Absicht.         
    Zum richtigeren Verständnis von Reinkarnation und Karma im Hinduismus, siehe:      
Herman W. Tüll: The Vedic Origins of Karma, Shri Satguru, Delhi, 1989.
       
William A. Borman: The OtherSide of Death: Upani
sadic Eschatology, Shri Satguru, Delhi, 1990.   
Wendy Doniger O'Flaherty: Karma and Rebirth in Classical Indian Traditions, Motilal Banarsidass, Delhi, 1983.     
           
Die ursprüngliche Karmatheorie bewirke eine fatalistische Lebenseinstellung und sei ein wirksames Herrschaftsinstrument. Sie stelle sicher, dass die unterdrückten Massen ihr Schicksal widerspruchslos ertragen und nicht gegen Ungerechtigkeiten und Unterdrückung rebellieren. (S. 79).       
    Das ist es doch gerade, was das Dogma von der ewigen Verdammnis und die Angstmacherei mit dem unverstandenen Tod im Kirchentum bewirkt! In früheren Zeiten sollte man ja auch noch in der Gemeinde schweigen und nichts infrage stellen … Die Lehre Jesu wurde damit eher zum Machtinstrument entfremdet, als die Reinkarnationslehre in Indien … 
           
Die Theosophen hätten am Ende des 19. Jahrhunderts die fernöstliche Reinkarnationslehre uminterpretiert und die Idee von karmischer Belastung hinzugefügt. (S. 79).   
    Die letztere Idee ist viel älter als die Theosophie und trat u.a. schon in frühchristlichen gnostischen Kreisen auf. Die Theosophie als Ursprung der Lehre von Reinkarnation und Karma im Westen hinzustellen, ist eine Irreführung. Sie spielt natürlich eine Rolle, aber es gab diese Lehre schon lange vorher auch bei uns.          
           
Stamm schreibt von einer „Verfälschung der fernöstlichen Karmalehre" wenn es um westliche Reinkarnationsvorstellungen geht. (S. 80). 
    In Wirklichkeit handelt es sich um eine alternative und von fernöstlichen Lehren teilweise unabhängige Karmalehre. Die Reinkarnationsidee stammt – trotz allen Bemühungen, die Welt es anders glauben zu lassen – nicht ursprünglich aus Indien, sondern entwickelte sich dort auch, parallel zu verwandten Vorstellungen in verschiedenen anderen Völkern.           
           
Es sei zwar richtig, dass die Reinkarnation auch im frühesten Christentum ein bekanntes Phänomen war, allerdings in anderer Form. Damals sei es um eine religiöse Wiedergeburt im Sinne einer Übertragung des Geistes und der Kraft Jesu Christi auf die einzelnen Christen gegangen und nicht darum, mehrere Leben zu führen, erklärte der Heidelberger Theologe Klaus Berger. (S. 81).   
    Eine Gedankenakrobatik und Erfindung als Versuch, Tatsachen nach dem Dogma „zurechtzudrehen." Außerdem könnte die Bezeichnung „Reinkarnation" auf eine solche Vorstellung gar nicht zutreffen, da sie wörtlich „Wiederverkörperung" bedeutet. Einzig „Wiedergeburt" im geistigen (und nicht die im körperlichen) Sinne könnte hier zutreffen!   
           
Viele hätten sich in Rückführungen als Kleopatra erlebt. (S. 81 und84).  
    Ganz und gar nicht! Dieser Versuch, die Rückführung lächerlich zu machen ist so falsch wie alt. In seriösen Rückführungen ist noch kein(e) Klient(in) selbst Kleopatra gewesen! Hingegen gibt es mehrere Aussagen von sogenannten Hellsichtigen oder Medien, die solches Behaupten. Diese haben gar nichts mit Rückführungen zu tun. 
           
Ian Stevenson widmet sich einer seriösen Forschung auf dem Gebiet der Reinkarnation. Eine für Viele unerwünschte Forschung. Was nicht wahr sein darf, soll nicht erforscht werden. Deshalb bemüht sich Stamm darum, Stevensons Arbeiten abzuwerten und seine Ergebnisse für nichtig zu erklären. Die gleiche Haltung wird gegenüber anderen Ergebnissen gezeigt, sobald sie allzu konkrete Indizien für die Reinkarnation offenbaren, die Stamm unter keinen Umständen gelten lassen will. Irgendwelche Behauptungen müssen für diesen vorgefassten Zweck hinhalten. (S. 81-83).
     
    Ebenfalls wird die Reinkarnationstherapie so dargestellt, als ob sie sinn- und nutzlos wäre. Klienten „glaubten", physische und psychische Beschwerden auflösen zu können. Offensichtlich hat Stamm sich gar keine Mühe gemacht, nachzuprüfen, inwiefern die Reinkarnationstherapie wirklich hilfreich ist, denn das darf sie für ihn nicht sein … (S. 83).       
           
Die Erfahrung zeige, dass ein Großteil der Esoteriker bei ihren Rückführungen mindestens einmal eine bedeutende Persönlichkeit „waren". (S. 84).           
    In seriösen Rückführungen eben nicht! Siehe oben (zu Kleopatra). Zum seltenen Fall von einer Identifikation mit einer bedeutenden Persönlichkeit, in dessen Umkreis der Klient damals lebte (d.h., er war nicht diese Person, aber kannte sie damals gut genug um sich zunächst unbewusst mit ihr identifizieren zu wollen), siehe:   
Jan Erik Sigdell: Rückführung in frühere Leben, Scherz, Bern, 1998, Kapitel 18,        
ten Dam, Hans: Een ring van licht, Bd. 2, Bressotheek, Amsterdam, 1983 (englische Übersetzung in einem Band: Exploring Reincarnation, Arkana, London, 1990).  
           
Wer die biologische Evolutionslehre oder die Erkenntnisse von der genetischen Entwicklung kenne, müsse die Reinkarnationslehre als Mythos ablehnen. Die Vererbungslehre geht davon aus, dass nicht nur biologische Strukturen, sondern auch persönlichkeitsbildende Charaktereigenschaften in den Erbanlagen gespeichert und verwandtschaftlich vererbt werden. Der Mensch könne also nicht gleichzeitig von Genen und vom Karma geprägt sein. (S.85).  
    Hier könnte man fast etwas von der unheilvollen rassistischen Vorstellung von Genetik im „dritten Reich" ahnen! Selbstverständlich spricht – unter der Hypothese der Reinkarnation – nichts dagegen, dass:         
die Persönlichkeit sowohl von Erbanlagen als auch von mit der Seele in die Inkarnation Mitgebrachtem geprägt ist – bei einigen mag das erste überwiegen, bei anderen das zweite,     
die Seele sich Erbanlagen sucht, die eine Persönlichkeitsstruktur prägt, die z.B. aus Gründen des Karma für die neue Inkarnation vorzugeben ist.       
    Sonst hätten ja Menschen recht, wenn sie behaupten würden, dass schlechte Eltern schlechte Kinder hätten, was eine unchristliche, lieblose und ungerechte Haltung wäre! Es haben schon mehr als genug Kinder unter solchem Vorurteil leiden müssen!         
           
Stamm bringt dann das malplatzierte Beispiel der Sonnentempler als Extremfall von Reinkarnationsgläubigkeit ein. Eine Taktik, die in ihrer unethischen Mangel an Fairness zum Selbsttor wird. Kommentare überflüssig … (Merkwürdigerweise scheint er vergessen zu haben, auch noch Scientology als Negativbeispiel aufzuführen, aber das haben ja andere in ebenso unfairen Vergleichen oft genug getan.) (S. 86-88)    
           
Die Idee der Reinkarnation sei eine Hypothese. Der Kausalzusammenhang zwischen aktuellen Problemen und der karmischen Belastung sei reine Spekulation. Deshalb handele der Reinkarnationstherapeut fahrlässig. (S. 88).  
     Die Erfolge (in vielen Fällen, aber wie bei allen Therapien natürlich nicht in jedem) der Reinkarnationstherapie machen ein Indiz für die Hypothese aus. Aber diese lässt Stamm eben nicht gelten. Jedoch, wie man so schön sagt: „Wer heilt, hat recht." Gibt es eine Therapie, die nicht zumindest anfänglich von einer Hypothese ausging?      
           
Wer beispielsweise erfahre, dass er in einem früheren Leben ein Mörder gewesen sei, wird die Sitzung bedrückt verlassen. Solche belastende „Erkenntnisse" würden nicht helfen, das Leben besser zu meistern. (S. 88).  
    Wenn es die Reinkarnation gibt – und auch Stamm kann das Gegenteil nicht beweisen – wäre ein solcher Zusammenhang mit einem heutigen Problem durchaus denkbar. In einer seriösen Reinkarnationstherapie würde aber der Klient von der Last bereits vorhandener aber vorher unbewusster Schuldgefühle befreit, verbunden mit der Einsicht, dass er heute niemals mehr das täte, was er damals tat. Damit ist die frühere Tat weitgehend gesühnt. Erst recht, wenn er sich innerlich mit seinem Opfer – und mit seiner eigenen Vergangenheit! – versöhnt. Er würde die Sitzung erleichtert verlassen. Sein Leben würde sich positiv verändern.           
           
Dass die Karmatheorie mit ihrem ausgeprägtem Fatalismus eine Gleichgültigkeit, Resignation, Ohnmacht oder emotionale Regression bewirken könne, ist eine reine Behauptung aus Unkenntnis der wahren Zusammenhänge einer seriösen Reinkarnationstherapie heraus. (S. 89)   
    Ebenso, dass man die „Selbstverantwortung" abgeben würde. Im Gegenteil: man wird sich erst recht seiner Verantwortung für sein Handeln bewusst! (S. 89).
           
„Eine echte Spiritualität will hingegen vorurteilslos ergründen, was die wahre Bestimmung des Menschen ist, hier auf Erden." (S. 89).       
    Vorurteilslos ist Stamm in seinem Buch selbst nicht. Er wertet sämtliche Erscheinungen der Esoterik nach und nach restlos ab, bis nichts mehr übrig bleibt, als das „wissenschaftliche Vorurteil" der materialistischen Schulwissenschaft.    
           
„Mitverantwortlich zu sein für die Sünden früherer Seelenträger widerspricht unseren Vorstellungen von Bewusstseinsbildung und Selbstverantwortung." (S.90).
  
    Die geschickte taktische Formulierung „frühere Seelenträger" dürfte hier absichtlich irreführend sein. In Wirklichkeit ist es ja die Seele selbst – dabei eher als eine frühere Trägerin eines anderen Körpers zu bezeichnen -, die Fehler gemacht hat, welche in späteren Verkörperungen ihre Folgen haben. Dass das egoorientierte bewusste Ich um die Zusammenhänge nicht weiß, ist kein Einwand gegen den Sinn des Karma, da man es im unbewussten Ich sehr gut weiß! Dieser Einwand, auf den Stamm hier anzuspielen scheint, stammt aus dem Mittelalter, wo man vom unbewussten Ich noch gar nichts wusste. 
           
Wie bei allen Therapien und religiösen Glaubensvorstellungen gibt es selbstverständlich auch negative Beispiele. In unseriösen Reinkarnationstherapien sind ausnahmsweise auch negative Folgeerscheinungen vorgekommen, so wie in praktisch jeder Therapie – zumindest in ihrem Anfangsstadium. Dies gegen die Sache an sich auslegen zu wollen, ist auch ein Vorgehen mit fraglichem Fairness. (S. 91-92).    
           
„Die Karmalehre kann sich auch fatal auf die Weltanschauung auswirken: Wie soll man beispielsweise den Wahnsinn des Krieges ‹karmisch› erklären? Was sagt ein Esoteriker vergewaltigten Frauen, was der leidenden Zivilbevölkerung? ... Wie lässt es sich erklären, wenn ein Schulbus in eine Schlucht stürzt und 30 Schulkinder in den Tod reißt, weil der Fahrer eingeschlafen ist?" (S. 92).           
    Ja, was sagt Stamm den Frauen, der Zivilbevölkerung, den Eltern der Kinder? Wenn er eine Erklärungshypothese angreift, ohne eine bessere zu bringen, ist seine Kritik wenig ernst zu nehmen. Er muss erst die Lücke glaubwürdig füllen, die eine von ihm „vernichtete" Erklärung hinterlässt …   
           
Schließlich muss in Stamms Kapitel wieder der Holocaust als Schlagkeule gegen Reinkarnationsvorstellungen hinhalten, was ich für einen Missbrauch der Tatsache eines der größten Verbrechen der Menschheit halte. Es ist wahr, dass wir in Rückführungen immer wieder auf Menschen treffen, die im letzten Vorleben Holocaustopfer waren. Aber sie sollten wohl nach der Meinung von Stamm und einigen anderen gefälligst nicht wieder inkarniert sein, sondern als ewiges Mahnmal eher weiter in ihrem bereits unfassbar extremen Leid verhaftet bleiben. (Das ist natürlich nicht so, aber ich habe hier eine bewusst überspitze Formulierung der Haltung mancher Reinkarnationsgegner im diesem Zusammenhang verwendet.) (S. 92-96).    
    In Rückführungen werden Einzelschicksale in Zusammenhang mit einem persönlichen Karma erlebt. Schicksalhafte Erlebnisse und Situationen erscheinen, sofern negativ, als karmische Folgen von früheren Vergehen. Diese Folgen sind keineswegs als Strafe aufzufassen, sondern als Lektionen. Die Seele lernt selbst das Leid kennen, das sie anderen zugefügt hat. Die Folge davon ist normalerweise die, dass sie Solches nie wieder tun könnte. Hier bilden Rückführungserlebnisse als Holocaustopfer keine grundsätzlichen Ausnahmen.        
    Diese Einzelschicksale vermögen aber nicht die große Frage zu beantworten, wie es möglich ist, dass Ideologien und Machtausübungen in ihrem Wahn zu solchen Massenleiden und Völkermorden führen können. Sie vermögen nicht zu erklären, wie es zu solchen „Konzentrationen" unsagbaren Leids ganzer Menschengruppen und Völker kommen kann. Der Holocaust war die allerschlimmste Erscheinung dieses übelster aller Phänomene der Menschheit. Wahnsinnstaten dieser Art gab es aber zu allen Zeiten. Zum Beispiel die Völkermorde an den Katharern (die restlos ausgerottet wurden) und den Azteken und Inkas, um nur drei Beispiele unter vielen in der dunklen Menschheitsgeschichte zu erwähnen. Was dabei auf jeden Fall eine gewisse Rolle spielen wird, ist die Intoleranz gegenüber Andersdenken und Anderssein …