Wassermann-Zeitalter 1/99, S. 61-63 REINKARNATIONSLEHRE Zunächst
ist es zu einfach dargestellt, wenn man behauptet, dass die Gnostiker ihre
Reinkarnationsvorstellungen nur von der griechischen Philosophie her gehabt
hätten. Jüdische Quellen bestätigen nämlich, dass es innerhalb vom damaligen
Judentum auch reinkarnationsgläubige Gruppierungen gab (vgl. das denken des
Jüngers beim Blindgeborenen, s.u.). Die Gnostiker hatten sie natürlich von dort
auch. Sie behaupteten, Anteil an eine Überlieferung der Belehrungen Jesu an
seine Jünger zu haben, was man offensichtlich nicht sehr von den Evangelien
behaupten kann, die eher die öffentliche Äußerungen an das Volk beinhalten.
Demnach soll – so die Gnostiker – Jesus im inneren Kreis die Reinkarnation gelehrt
haben. Das bestreitet natürlich die Kirche sehr, aber heute kann weder das eine
noch das andere bewiesen werden. Bedenkenswert sind aber Jesu eigene Worte:
"Ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könntet es jetzt nicht ertragen"
(Joh. 16.12). Eine zu diesem Thema wichtige gnostische Schrift ist Pistis Sophia,
die über Belehrungen des nach der Kreuzigung wiedererschienene Jesus an seinen
Jünger berichtet. Darin spricht Jesus deutlich über Reinkarnation und Karma.
Die kirchliche Theologie behauptet, dass die Schrift erfunden sei. Auch hier
wird sich aber in Beweisnot befinden. In Wirklichkeit
scheint die Reinkarnationslehre das fehlende Glied zu sein, das die Urchristen
noch hatten aber die Kirche beseitigte. Das uralte Theodizee‑Problem,
worauf die Kirche immer noch keine überzeugende Antwort hat, findet eine
annehmbare Lösung durch den Begriff des freien Willens, aber nicht durch ihn
alleine, sondern nur in Verbindung mit der Reinkarnation. Dies wird in meiner
Schrift ausführlich dargestellt. Dieses Problem ist: Wie kann die Welt voll von
Leid sein, wenn doch Gott die absolute Liebe und zudem allmächtig ist? Die
Lehre von der ewigen Verdammnis steht jedenfalls in einem krassen Widerspruch
zur Liebe Gottes! Dass er aber Seelen in neuen Verkörperungen neue Chancen gibt
ist wirklich seine große Gnade. Der
Blindgeborene Es
ist eigenartig, wie theologische Autoren den wesentlichen Aspekt immer wieder
ausweichend auf die Seite schieben, um nur auf Jesu Antwort hinzuweisen, die
aber die Frage offen lässt. Der Jünger, aber, der fragte: “... Meister, wer hat
gesündigt? Dieser oder seine Eltern, sodass er blind geboren wurde?" (Joh.
9.2), hat ganz offensichtlich an die Präexistenz der Seele gedacht, vielleicht
sogar an die Reinkarnation, da sonst seine Formulierung reiner Unsinn wäre! Wie
hätte denn der Mann – die eine Alternative in der Frage – als Folge blind
geboren werden können, wenn die Ursache nicht vor der Geburt läge? Im
Mittelalter versuchte man das "Rätsel" so zu lösen, dass er bereits im
Mutterleib "böse Gedanken" hätte gehabt haben können. So etwas kann
heute niemand mehr ernst nehmen. Und wo wäre da die Gerechtigkeit, da solche
eventuelle "böse Gedanken" in gar keinem zumutbaren Verhältnis zum
jahrzehntelangen Leid durch das Blindsein ständen? Das
Wichtige ist hier
also, dass einer der Jünger Jesu ganz offensichtlich an eine vorgeburtliche
Existenz gedacht hat! Jesu Antwort ist natürlich wichtig, aber hier doch eine andere
Sache, und in Hinsicht auf die Frage der Präexistenz ausweichend. War
Johannes der Täufer Elias? Auch
hier weicht man gerne auf eine an sich irrelevante Stelle aus: die, wo Johannes
bestreitet, Elias zu sein (Joh. 1.21). Demgegenüber steht die Aussage Jesu,
dass
er tatsächlich Elias sei (Matth. 11.14 und 17.10‑13). Hier haben wir einen
direkten Widerspruch! Wer von den beiden soll nun dem rechtgläubigen Christ die
größere Autorität sein? Und ist denn Johannes' Antwort maßgebend? Erstens
könnte es doch sehr gut sein, dass er selbst nicht wusste was Jesus über ihn
wusste, so wie wir normalerweise auch nicht wissen, wer wir früher einmal waren.
Johannes kann aber auch ausweichend geantwortet haben, im Sinne von "Ich
bin jetzt nicht Elias, sondern Johannes (aber ich bin einmal Elias
gewesen)." Eine richtige Antwort, auch wenn er in dem Fall das Letztere
für sich behielt … Der
gekreuzigte Übeltäter Jesus
sagte zu einem der zwei Verbrecher, die mit ihm gekreuzigt wurden, dass er
"noch heute" mit ihm im Paradiese sein werde (Luk. 23.43).
Widerspricht dies der Reinkarnation? Jener Übeltäter zeigte eine große Reue und
Demut (Luk. 23.40‑42). Dadurch wurde er vom Karma erlöst! Die östlichen
Karmalehren kennen kaum eine solche Gnade, die christliche Reinkarnationslehre
sehr wohl … Der andere Übeltäter wurde offensichtlich nicht begnadigt. Was war
dann mit ihm? Ewige Verdammnis oder eine Bewährungsprobe in einer neuen
Verkörperung? Außerdem: Was spricht dagegen, dass der Begnadigte später auch
wieder verkörpert wurde? Er hatte dann jedenfalls erst eine durch die Reue wohl
verdiente Erholung in der paradiesischen Lichtwelt. Danach kann er für
"eine neue Runde" wieder inkarniert geworden sein, aber mit
Sicherheit unter weit angenehmeren Umständen, um anderes Karma zu erledigen
(vielleicht von anderen Vorleben her). Ähnliches wird in Rückführungserlebnissen
immer wieder berichtet. Der
Haupteinwand Die
Lehre der Reinkarnation wird vom kirchlichen Dogma abgelehnt. Lehnt sie auch
die Bibel ab? Hier antworten die Theologen des Kirchendogma ad nauseam
meistens mit nur dem einen Bibelwort – es scheint tatsächlich kein anderes zu
geben, das einen direkten Einwand zu beinhalten scheint: "Und wie dem Menschen
bestimmt ist, ein Mal zu sterben, worauf das Gericht folgt …" (Hebr.
9.27). Einmal sterben – also nur einmal leben … Was heißt hier "ein Mal"? Wir müssen
zum altgriechischen Text zurückgehen und diesen untersuchen. Die griechischen
Wörterbücher geben mehrere mögliche Übersetzungen vom hier verwendeten Wort hapax
an [1]: 1.
"ein (einziges)
Mal", 4.
"ein für
alle Mal", 7.
"wiederholte Male", 2.
"irgendein
Mal", 5. "noch ein Mal”, 8.
"ein oder ander Mal" und 3. "überhaupt”, 6.
"ein letztes Mal",
9.
"auf einmal." Damit
ist dieser Einwand unhaltbar! Er kann, im Gegenteil, sogar als Hinweis auf die
Möglichkeit der Wiederverkörperung verstanden werden … Hätte
Nikodemus über die Reinkarnation Bescheid wissen sollen? Ein
besonderer Hinweis darauf, dass die Reinkarnation dem Neuen Testament gar nicht
so fremd sein muss, wie man es meistens darstellen will, finden wir im Nikodemusgespräch.
Jesus sagt: "Wahrlich, wahrlich', Ich sage dir: Wenn nicht jemand von
Neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen." Nikodemus
spricht zu Ihm: "Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann
er wieder in den Leib seiner Mutter gehen und geboren werden?" (Joh. 3.34,
vgl. Joh. 3.7). Nikodemus denkt also nicht an die Möglichkeit,
dass es der Leib einer neuen Mutter sein könnte! Nun hat man hin und her
gedeutet, was wohl das verwendete griechische Wort anothen hier bedeuten
soll. Unbestreitbar ist, dass es zwei Bedeutungen haben kann: "wieder, aufs
Neue, noch ein Mal", sowie "von oben her" [geboren werden]. Es
könnte aber auch bedeuten: "von innen her”, “von früher her”, “von den
Vorfahren her" oder “vom Grunde auf” [geboren werden]. Um Deutungen im
Sinne der Reinkarnation zu entgegnen, will man heute eher die Übersetzung
"von oben her" vorziehen. Nur die Übersetzung "wieder, noch
einmal" kann alleine die richtige sein, da es ja Nikodemus so versteht!
Nach der Fachliteratur soll es kein derart zweideutiges aramäisches Wort geben
[2], sodass man davon ausgehen muss, dass Jesus ein ziemlich eindeutiges Wort mit
gerade dieser Bedeutung verwendet haben wird. Hätte er ein ebenfalls ziemlich
eindeutiges Wort mit der Bedeutung "von oben her" verwendet, hätte
ihn Nikodemus nicht so verstehen können, wie er es tat. Die "Doppeldeutigkeitserklärung"
bezieht sich einzig nur auf die griechische Übersetzung, aber da sie Aramäisch
sprachen, muss dieser Erklärungsversuch als ein irreführender Kunstgriff gesehen
werden. Aramäischer
Urtext nicht erhältlich Die
theologische Literatur will hier stets geltend machen, dass anothen die
Übersetzung vom aramäischen Wort mill'ela sei, dessen einzige Bedeutung
"von oben her” ist [3,4]. Da der Urtext in Aramäisch nun einmal nicht
zugänglich ist, fällt solches Behaupten leicht … Diese dogmatisch vorgefasste
Rückwärts‑Auslegung überzeugt aber gar nicht davon, dass es nicht ebenso gut
ein anderes Wort gewesen sein könnte, das "wieder” bedeutet. Zum Beispiel chadat,
tanyanut oder ein dem hebräischen Wort 'od verwandtes aramäisches
Wort. Jesus sagt dann:
“... Wenn nicht jemand aus Wasser und Geist geboren wird, so kann er nicht in
Gottes Reich kommen." (Joh. 3.5). Mehrere Theologen halten hier "aus
Wasser" für eine spätere Einfügung [5]. Bleibt also mit Sicherheit nur
"aus Geist", womit nicht bestritten wird, dass es sich hier um eine
Seele oder einen Geist handeln könne, der zum Geborenwerden (wieder) hineingeht. Taufe
ohne Wasser? Die
übliche Deutung vom an dieser Stelle unsicheren Wort "Wasser" bezieht
sich auf die Taufe. Man müsse auch getauft werden, bevor man in den Himmel
kommen kann. Dies muss an dieser Stelle als zweifelhaft erscheinen, da zu jener
Zeit die Taufe noch nicht ein christliches Sakrament geworden war. Erst später
in der Bibel – abgesehen nur von Jesu eigener Taufe durch Johannes – erfahren
wir, dass die Jünger angefangen hatten, zu taufen (aber nicht Jesus selbst)
(Joh. 4.1‑2) und erst bei der Wiedererscheinung gab er den Jüngern den
Auftrag, alle im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geists zu taufen
(Matth. 28.19) (vgl. [6]). Mit dem Letzteren muss nicht unbedingt eine Taufe mit
Wasser gemeint sein (Matth. 3.11, Mark. 1.8, Luk. 3.16, Joh. 1.26). “Jesu
Gespräch mit Nikodemus ... wird erst für christliche Leser auf die Taufe
beziehbar" [7]. Also eigentlich erst nachträglich zu jener Gegebenheit … Der
Taufauftrag – eine Fälschung? Der
Taufauftrag in Matth. 28.19 wird allerdings von manchen theologischen Forschem
als eine spätere Fälschung gesehen [8]. Das griechische Wort für “Taufe", baptisma,
ist eine erst im Neuen Testament auftauchende Abwandlung des Wortes bapto,
das "eintauchen" bedeutet. Ein "Eintauchen in den Heiligen
Geist' und eine Handvoll Wasser auf den Kopf schütten können eigentlich recht
unterschiedliche Dinge sein … "Der Wind weht, wie er will und du hörst
wohl ein Sausen, aber du weißt nicht, woher er kommt noch wohin er fährt. So ist
es mit jedem, der aus Geist geboren ist." (Joh. 3.8). Hier hat man das
griechische Wort pneuma in der gleichen Bibelstelle zweierlei übersetzt! Eine
Bedeutung davon ist "Wind", eine andere ist "belebendes
Prinzip" oder "Lebenshauch" im Sinne von Seele und im
übertragenen Sinne auch “Geist” [9]. Das gleiche Wort wird am Schluss des
Zitates eben als “[aus] Geist [geboren]" übersetzt. Außerdem ist die
Übersetzung von phonen = Stimme mit "Sausen" doch ziemlich im
"übertragenen Sinne." Man kann es also wie folgt verstehen: "Die
Seele kommt von irgendwo her und du hörst wohl [in dir] ihre Stimme, aber du
weißt nicht, von wo sie kommt oder wohin sie [danach] weiter geht. So ist es mit
jedem, der mit einer Seele geboren ist." Wer soll da nicht an die
Präexistenz denken, oder gar an die Reinkarnation? Was
verstand Nikodemus nicht? Diese
entscheidend wichtige Stelle widerspricht einer manchmal erhobenen Behauptung,
dass Jesus von einer Wiedergeburt in diesem Leben gesprochen und dass Nikodemus
ihn in diesem Sinne verstanden hätte [10: S. 42]. Offensichtlich verstand
Nikodemus gar nicht, was Jesus meinte, weil ihm gesagt wurde: "Bist du ein
Meister in Israel und weißt das nicht?" (Joh. 3:10). Was hätte er wissen
sollen? Das steht nicht. Vielleicht dann doch von der Reinkarnation? Adresse des
Verfassers: Dutovlje 105, SI-6221 DUTOVLJE, Slowenien Referenzen
Hebräisch, Aramäisch und Griechisch –
Sprachen der Bibel ot. Der größte Teil der Bibel (39 Bücher) ist in Hebräisch
abgefasst, d.h. etwa drei Viertel des Gesamtinhalts der Bibel. Teile einiger
Bücher sind auch in Aramäisch geschrieben. Die letzten 27 Bücher der Bibel
wurden in Griechisch verfasst. Bis zum 8. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung war der
Unterschied zwischen der hebräischen und der aramäischen Sprache so groß
geworden, dass sie als separate Sprachen bezeichnet wurden. Aramäisch war damals
die Verkehrssprache des Nahen Ostens und diente als Diplomatensprache, aber die
Mehrheit der Judäer verstand sie nicht. Die frühesten außerbiblischen Urkunden
in Aramäisch stammen ungefähr aus derselben Zeit, und sie bestätigen den
Unterschied zwischen den beiden Sprachen. Ein auffälliges Merkmal des Hebräischen ist seine Kürze und
Prägnanz, die auf den Satzbau zurückzuführen ist. Das Aramäische, das von den
semitischen Sprachen mit dem Hebräischen am nächsten verwandt ist, hat einen
vergleichsweise schwerfälligen, umständlichen und langatmigen Stil. Beim Übersetzen
aus dem Hebräischen muss man sich oft mit zusätzlichen Wörtern behelfen, will
man die Lebendigkeit, die Dynamik und die Bildhaftigkeit des hebräischen Verbs
voll zum Ausdruck bringen. Das fehlende Glied des wahren Christentums
Dr. Jan
Erik Sigdell
Es wird
immer wieder darüber gestritten, ob die Reinkarnationslehre christlich sein
kann, oder nicht, und ob die Bibel sie stützt oder widerspricht. Ich habe eine
umfassende Studie zum Thema Reinkarnation, Kirche und Christentum geschrieben,
die erst noch in Manuskriptform vorliegt aber auf jahrelangen Recherchen in
alten und neuen theologischen Schriften basiert. Daraus sei hier eine erste Antwort
auf den Artikel von Gabriel Looser Wassermann-Zeitalter 5/98 ("Die Lehre
von der Reinkarnation und Karma – ist sie mit dem christlichen Glauben vereinbar?"
S. 32.34) gegeben. Ich respektiere sehr die Äußerungen jenes Verfassers, den
ich auch persönlich kennengelernt habe, will aber im allgemeinen Sinne übliche
theologische Meinungen zu diesem Thema kommentieren.