Wassermann-Zeitalter 5/99, S.
53-55 Der freie Wille und die Reinkarnation Eine Lösung des Theodizee-Problems Dr. Jan Erik Sigdell, Dutovlje,
Slowenien Einige glauben, dass wir eine Seele haben. Andere glauben es nicht.
Niemand kann weder das eine noch das andere beweisen. Somit gibt es eine
philosophisch und logisch berechtigte Motivation zu untersuchen, wie die Welt
und die Wirklichkeit unter der Hypothese aussehen, dass wir eine Seele haben. Was
ist denn eine Seele? Es gibt in verschiedenen metaphysischen Lehren
unterschiedliche Theorien über die Struktur der Seele, die wir hier aber
beiseitelassen können. Hier genügt die folgende Definition: Die Seele ist ein
bewusstes Ich, das den Körper überlebt. Es ist das, was von dir übrig ist, wenn
der Körper nicht mehr funktioniert und sogar wenn er nicht mehr existiert.
Irgendeine Form von energetischer Struktur mit Gedächtnis und Icherlebnis ohne
für uns wahrnehmbare physische Gestalt, die aber selbst wahrnehmen und agieren
kann, und zwar in einer immateriellen Dimension, die unser Körperbewusstsein
nicht erfassen kann. Es wäre doch sehr überheblich zu behaupten, dass
eine solche Dimension nicht existieren könne, nur weil unsere Sinnesorgane sie
nicht wahrnehmen können! Alle Religionen und metaphysischen Lehren sagen aus,
dass unsere Welt viel mehr ist, als nur das Materielle, das wir sehen, hören,
tasten, schmecken und riechen können. Es hat auch niemand beweisen können, dass
es darüber hinaus keine weitere Dimension gibt. Wir wissen nur, dass in dem Fall
unser physischer Körper nicht die Sinnesorgane besitzt, die er benötigen würde,
um eine solche Ebene wahrzunehmen, und dass das Leugnen ihrer Existenz sehr gut
der gleiche Fehler sein kann, wie wenn der Blinde die Existenz von etwas leugnet,
weil er es nicht sehen kann. Jede Religion setzt die Existenz einer solchen
Dimension voraus. Und jede Religion setzt voraus, dass wir irgendeine Form von
Seele haben. Sonst wäre die Religion sinnlos. Und wäre es nicht so, sind wohl die Folgen eines
entsprechenden Weltbildes ziemlich klar, das in dem Fall rein materialistisch
wäre. Die optimale Weise zu leben wäre dann, es so egoistisch wir nur möglich
zu tun. Die Maximierung von meinem Gewinn, meinem Besitz, meiner Macht und
meinem eigenen Genuss, ohne Rücksicht auf andere. So wie doch bereits Massen
von Menschen heute tatsächlich leben ... Denn nach dem Tode wäre nichts mehr von
mir da, das zur Rechenschaft gezogen werden könnte. Es wäre nichts mehr von mir
da, von dem man das Begleichen einer Rechnung oder eine Wiedergutmachung
verlangen könnte, oder das bestraft werden oder sich bereuen könnte. Auch
nichts, das belohnt werden oder sich über gute Taten freuen könnte. Nicht
einmal das Schicksal meiner eigenen Kinder könnte mich weiter kümmern, wenn
meine Existenz aufhören würde! Die individuelle Existenz wäre darüber hinaus
ganz ohne Bedeutung. Das Einzige, das möglicherweise etwas bedeuten könnte,
wäre eine gesamthafte darwinistische Entwicklung. Das Individuum würde zu einem
bedeutungslosen Rädchen in der Maschinerie reduziert, das man nach Belieben
gebrauchen oder verschrotten könne ‑ so wie es ja in der Praxis in jenen
Gesellschaften wurde, wo man die Verwirklichung des materialistischen Ideals
des Kommunismus versucht hat. Eine
solches Weltbild führt tatsächlich zur Hölle, denn eine solche Welt wäre ja
eben das: eine Hölle! Wie,
aber, sähe es aus, wenn wir eine Seele hätten? Liegt es dann nicht auch nahe,
die Existenz einer Art von Überseele anzunehmen ‑ also eines Gottes! ‑
die wir noch weniger mit unseren auf nur fünf begrenzten Sinnesorganen
wahrnehmen können? Die wir vielleicht aber sehr wohl im Seelenzustand nach dem
Tode wahrnehmen können, wo wir uns in dem Fall Wahrnehmungen bewusst werden,
die wir im Körperbewusstsein nicht kennen. Die vielleicht wichtigste Motivation für die
Untersuchung, wie wohl die Welt unter einer solchen Hypothese aussähe, wird
sicher die Gerechtigkeitsfrage sein. Aus einem nur materialistischen Aspekt
heraus betrachtet, erscheint unsere Welt als fürchterlich ungerecht. Und eine
ungerechte Welt wäre eben eine Hölle ... Sieht es denn anders aus, wenn wir eine
Seele und einen Schöpfer haben? Hier entsteht das sog. Theodizee-Problem, das
vielleicht in allen Zeiten Theologen und Philosophen verschiedener Religionen
beschäftigt hat. Dieses Problem kann folgendermaßen formuliert werden: Postulat: 1.
Gott ist gut
2. Gott ist allmächtig Wie
geht das zusammen? Man hat verschiedene Wege versucht, um zu einer Lösung zu
finden. Ein Weg ist die Annahme, dass einer der drei Punkte oben falsch sein
müsse. Dieser Weg führt zu den folgenden Theodizeen: 1. Gott ist nicht gut (er ist indifferent oder sogar
böse, ohne Verantwortung für seine Schöpfung). Eine solche Theodizee führt im
wahren Sinne des Wortes auch zur Hölle ... 2. Gott ist nicht
allmächtig. Er hätte die Kontrolle über seine Schöpfung verloren und könnte
nicht mehr das Elend verhindern, das daraus entstand. Wie in der Legende des
Zauberlehrlings (und wer wäre in dem Fall der Zauberer ...?). Mehrere Theologen
neigen heute in diese Richtung, da sie keine andere für sie annehmbare Lösung
sehen. 3. Das Leid ist nicht so wirklich, wie es zu sein
scheint. Hier haben wir, wiederum, verschiedene Gedankenrichtungen: a.
Das Leid ist Illusion. Aber sag das dem Mann auf der Folterbank, dem Juden im
KZ, zu Jesus auf dem Kreuz ... Damit ist die Ungereimtheit schon klar. b.
Das Leid entwickelt die Seele. Dieses edukative Argument kann nicht ganz
bestritten werden, aber Leid kann auch verbittern, Hass erwecken und zum Bösen
wenden! Wie es einmal jemand formulierte: “Was für eine Schule ist es denn, die
so viele ihrer Schüler umbringt?” c.
Das Leid wird in einer behaupteten neuen und zukünftigen Schöpfung (apokatástasis)
mehr als genügend kompensiert. Diese eschatologische Hypothese erscheint jedoch
als ein sehr unsicheres Versprechen ohne klare Stütze in der Bibel, eher als
Rechtfertigung eines Dogmas erschaffen. Und eine solche versprochene Wiedergutmachung
könnte niemals die Tatsache eliminieren, vorher doch gelitten zu haben! Was für
einen Sinn hätte am Ende dann das Leid? Der
andere Weg, den man versucht hat, um eine Lösung zu finden, ist, ein viertes Postulat
hinzuzufügen:
4. Dem Menschen hat Gott einen freien Willen zugesichert, den er deshalb respektiert. Und
würde er nicht auch eine eventuelle Wahl zum Bösen respektieren, wäre der Wille
doch nicht frei! Aber
warum würden wir so etwas wählen? Aufgrund von Unwissenheit, kurzsichtigem
eigenen Gewinn und Lieblosigkeit! Die ignorante Seele würde dann selbst erfahren
müssen, was sie anderen getan hat. Also bestraft werden? Wie wäre denn der
Wille frei, wenn die eine Wahl belohnt und die andere bestraft würde? Oder geht
es hier eigentlich um eine Lektion und nicht um Strafe? Wenn ich Anderen Leid
verursacht habe und selbst nicht weiß, wie sich das anfühlte, ist meine
Erfahrung unvollständig. Komme ich aber selbst dazu, das nachzufühlen, was
meine Opfer gefühlt haben, wird meine Erfahrung ergänzt. Dies beinhaltet auch
eine Lektion, die hoffentlich dahin führt, dass ich nie wieder solchen Schmerz
verursache. Keine Strafe sondern Erfahrungsergänzung. Gleichzeitig eine
Belehrung. Was sollen wir dann daraus lernen? Natürlich,
keinen Schmerz zu verursachen, weder körperlich noch seelisch. Aber auch, dass
der absolute freie Wille, der rücksichts- und skrupellose egoistische freie
Wille, der nur das eigene Beste sucht, falsch ist ‑ oder er ist
jedenfalls nicht gratis, sondern hat einen hohen Preis. Er ist kurzsichtig. Der
einzige freie Wille, der auf Dauer funktioniert, ist der relative freie Wille,
der für alle Beteiligte das gemeinsame Beste sucht. Er ist weitsichtig. Hiermit kommen wir also zu einer Art von Karma‑Begriff.
Karma ist ein Sanskrit‑Wort aus der Wurzel kri, die im weitesten
Sinne Tat, Handlung bedeutet. Jede Handlung, die wir tun, wirkt auf uns selbst
zurück (auch die Unterlassenheitstat) ‑ früher oder später. Wir haben den
freien Willen zu wählen, wie wir handeln, aber er geht nicht so weit, dass wir
dann die Folgen wegwählen können. Sie sind in der Wahl automatisch
einbegriffen. Alles oder nichts! Eine “halbe” Wahl, die nur die Rosinen aus dem
Kuchen pflückt und das Bittere weglässt, ist unmöglich. Beinahe jede Religion
lehrt uns auch was im Neuen Testament erscheint als: Was auch du anderen tust,
wird auch dir getan werden. Vgl. Matth. 26:52, Luk. 6:31, Gal. 6:7, Offb.
13:10. Dieser Karma‑Begriff unterscheidet sich
dadurch von dem in östlichen Religionen gewöhnlichen, dass er nicht absolut ist.
Bereut die Seele, sieht sie ein, falsch gehandelt zu haben, und weiß sie, dass
sie es nie wieder tun wird, erübrigt sich die Erfahrung auf der eigenen Haut.
Sie hätte ja dann keine Funktion mehr zu erfüllen, da ihr Ziel bereits erreicht
ist. Hierin liegt eine Gnade, die östliche Religionen nicht kennen (die aber
möglicherweise durch die Jahrtausende in ihren Lehren verloren ging). Eine
solche Erfahrung ist nur für widerspenstige Seelen nötig, die nicht einsehen
wollen, sondern ihre Taten zu rechtfertigen suchen. Wie man ja sagt: “Wer nicht
verstehen will, muss fühlen!” Nun sehen wir aber selten in unserer Welt, wie
ein Täter selbst das Böse erfährt, das er tat. Hitler entschlich sich durch
Selbstmord, Stalin starb in staatsverordneter Ehre. Massenweise Schurken
sterben ziemlich friedlich in Wohlstand. Wie könnte es dann stimmen, was die
Bibel und andere Religionen lehren, dass du an deiner eigenen Haut erfahren
wirst, was du anderen getan hast? Dies könnte ja dann erst nach dem Tode stimmen!
Wie dann? In einer ewigen Hölle? Was für einen Sinn hätte denn das? Eine
“Strafe” (die Kirche nennt es ja so) in einer Hölle hätte ja nur dann einen
Sinn und Zweck, wenn nach einiger Zeit die Seele davon wieder entlassen würde,
geheilt und bekehrt! Also könnte eine solche “Strafe” nur die dafür nötige Zeit
dauern, und niemals ewig! Ob man dies nun Fegfeuer oder zeitbegrenzte
Höllenstrafe nennen will, macht dann keinen wesentlichen Unterschied. Eine
ewige Höllenstrafe würde übrigens Gottes Liebe widersprechen und in keinem
plausiblen Verhältnis zum Verbrechen stehen, das unter allen Umständen nach
einer endlichen Zeit gesühnt sein muss ‑ auch wenn im Einzelfall diese
Zeit auch sehr lang sein könnte. Sonst ist dies ja nur eine Frage von Rache! Rächt sich Gott? Außerdem könnte man den
konventionellen Höllenbegriff auch als eine Art von Misstrauensvotum gegen Gott
betrachten, da er ja eigentlich eine Unfähigkeitserklärung beinhaltet, da Gott
nicht imstande sein solle, verirrte Seelen zu heilen und das Elend wieder in
Ordnung zu bringen, das nun einmal in der Schöpfung entstanden ist. Er wurde ja
viel mehr dieses Elend in einer immerdauernden Hölle verewigen! Es gibt
übrigens auch hier ein altes theologisches Problem paradoxer Natur, von dem man
heute nur noch wenig spricht. So wie es in unserer Welt ist, würde die große
Mehrzahl der Seelen in eine schließlich weitaus überragende Riesenhölle abwandern,
einem kleinem Himmelchen mit einer Handvoll braven Seelen am Ende übermächtig. So wie unsere Welt aussieht, könnte aber eine
zeitbegrenzte “Hölle” genauso gut eine neue Inkarnation sein, für die ein
Opfererlebnis vorprogrammiert ist, das früheren eigenen Taten entspricht! Wie
sollte man sonst etwas an der eigenen Haut erleben können, wenn man nicht erst
einen Körper mit einer solchen Haut hat ... (auch wenn dies eigentlich eine
Redewendung ist, ist die Frage an sich berechtigt). Dies muss uns nicht zur
Vorstellung verleiten, dass jede neue Inkarnation eine “Hölle” sein müsse. Auch darf uns dies nicht zum gleichen Irrtum
verleiten, dem man ihn in östlichen Religionen manchmal verfällt, wenn man
lieber nicht ins Karma eines anderen eingreifen will und deshalb Hilfe
unterlässt. Vielleicht sogar mit dem Hintergedanken: “Er bekommt ja, was er
verdient.” Eine solche lieblose Unterlassenheitstat schafft eigenes Karma! Die
Lektion des Leidenden kann ja nur vertieft werden, wenn er die Liebe an sich
erleben darf, zu der er selbst nicht fähig war! Haben wir also eine Seele, die ohne physischen
Leib existieren kann, ist es ja merkwürdig genug, dass diese einmal in einem Körper
ist. Es ist dann gar nicht mehr merkwürdig, wenn sie noch einmal in einem physischen
Körper ist! Dies reduziert sich hiermit zu nur einem zahlenmäßigen Unterschied!
(Das Dogma der Kirche von der Untrennbarkeit von Körper und Seele hat keine
Stütze in der Bibel und man kann leicht zeigen, dass es eine vielleicht absichtliche
Fehldeutung von Aristoteles' Schrift über die Seele ist, worauf sich dieses
Dogma beruft.) Nun hat man in allen Zeiten eingewandt, dass dies
sinnlos sei. Der Mensch würde doch in der neuen Inkarnation nicht wissen, wofür
er leide! Und schon das, dass man (mit seltenen behaupteten Ausnahmen) sich an
ein früheres Leben nicht erinnere, würde gegen den Reinkarnationsgedanken
sprechen. Dies war früher schwer zu bestreiten. Aber wir
wissen heute besser Bescheid. Eine der wichtigsten psychologischen Entdeckungen
unseres Jahrhunderts ist die Tatsache, dass wir ein unbewusstes Ich haben! Es
ist somit nur unser bewusstes und egoorientiertes Ich das sich nicht
erinnert, aber unser unbewusstes Ich, und damit unsere Seele, weiß sehr wohl,
weshalb wir durch gewisse schmerzliche Erfahrungen gehen müssen ‑ und sie
vielleicht sogar unbewusst suchen! Der alte Einwand ist unter diesen neuen
Einsichten ungültig geworden. Mit dem neuen Postulat eines freien Willens und
dass wir uns die Folgen von dem, was wir damit tun, nicht entziehen können
(außer durch Gnade), ergänzt durch den Reinkarnationsbegriff, der offensichtlich
gebraucht wird, um für solche Folgen Raum zu geben, erreichen wir die wohl bisher
beste und am meisten überzeugende Lösung des Theodizee‑Problems! Die
andere Alternative wäre ja, aufzugeben und die Welt als im Grunde ungerecht zu
erklären, was eine philosophische Niederlage bedeutet. Es sei denn, wir finden
eine noch bessere Lösung. Hat jemand einen besseren Vorschlag? Eine andere Weise ist allerdings, dies unter den
Teppich zu kehren und zu behaupten, dass dies den Verstand des Menschen übersteige,
und dass Gottes Wege unergründlich seien. So hat das Dogma in allen Zeiten
versucht, vor Kritik und schweren Fragen auszuweichen! Aber das wäre ja nicht
eine Lösung des Problems, sondern der Versuch, es zu verbergen ... [Adresse des
Verfassers: Dr. J.E. Sigdell, Dutovlje 105, SI-6221 Dutovlje, Slowenien] Dr. Jan Erik
Sigdell ist Verfasser von “Rückführung in frühere Leben”, Scherz, 1998 ‑
ein Lehr‑ und Informationsbuch über Regressionstherapie. Erfahrung: 3.
Die Welt ist voll von Leid