Wassermann-Zeitalter 6/99, S. 58-59 Sind Körper und Seele untrennbar? Von Dr. Jan Erik Sigdell,
Dutovlje, Slowenien Das
Dogma der Kirche lehrt, dass Körper und Seele eins seien. Ein Körper ohne Seele
kann nicht leben. Seele und Körper machen ein Lebewesen aus. Ein Körper ohne
Seele ist (nicht) mehr ein Lebewesen. Ein Körper ohne Seele ist tot. Was die
Verbindung von Körper und Seele betrifft, manifestiert sich die Seele durch
einen Körper, der ihr zugeteilt ist und eine Seele haben kann. Aber sie ist
nicht selbst ein Körper. Der Körper lebt wenn und weil er eine Seele hat. Wird
die Seele abgetrennt, stirbt der Körper. Nach Origenes mag sie gleichwohl einen
immateriellen Körper haben. Das
Dogma der Kirche lehrt, dass Körper und Seele eins seien. Schon deshalb könne
sich die Seele im Tod nicht vom Körper trennen und später in einem neuen Körper
inkarnieren. Es könne nur die Auferstehung durch die Wiederherstellung des
ehemaligen Leibes geben. Wie das aber vor sich gehen solle, mag niemand
erklären. Wie ein im Grabe verrotteter Leib wieder hergestellt werden soll, der
zersetzt, zerfallen und von Würmern gefressen ist, ist unvorstellbar. Oder
sollen wir etwa Zombies werden? Und wo sind die Seelen, bevor sie schließlich
ihren Leib wieder bekommen? Wie ein durch eine Explosion total vernichteter Leib
in gleicher Gestalt neu entstehen soll, oder ein Leib, der durch die Verdauung
eines Raubtiers gegangen und dessen Reste nun in die Gegend verstreut sind,
wieder wie einst hergerichtet werden soll, ist eigentlich eine absurde Frage. Natürlich mag man auf Gottes Allmacht hinweisen und
sagen, dass Ihm alles möglich ist. Es ist wohl aber eine ziemliche
Zumutung zu erwarten, dass Gott alle im Meer verstreuten Moleküle eines Körpers,
der von einem Haifisch gefressen und mit seinen Ausscheidungen — und durch die
Verwesung und das Gefressenwerden, wiederum, seines später toten Leibes — in
einem halben Ozean ausgestreut wurden, wieder einsammeln und zusammenstellen
würden, wenn es doch einen sehr viel einfacheren Weg gibt: Wiedergeburt in
einem neuen Körper der durch den von Gott bereits vorgesehenen Vorgang der
Zeugung entsteht. Und welchen Sinn sollte die andere Alternative haben? Außerdem wären dann sehr viele jener Moleküle durch
eine ganze Menge anderer menschlichen Körper gegangen, bevor sie “auferständen”!
Sie hatten sich, sozusagen, in vielen Leibern “reinkarniert” und gehörten zu
einer Anzahl von verschiedenen Körpern, die andere Seelen einmal hatten. Weil
sie nämlich nach Verwesung oder Zerfall eines Leibes wieder in Pflanzen und
Tieren aufgenommen wurden, die dann von Menschen gegessen wurden, deren Körper
auch nur Glieder einer langen Kette im Kreislauf der Natur waren. Sollen sich dann im eschatologischen Finalspiel meine
und viele andere Seelen um die Moleküle streiten müssen, die heute in meinem
Körper sind und vorher oder nachher aber in ihren waren? Was wird mit der
Seele, die keine oder zu wenig Moleküle bekommt, weil andere diese
beanspruchen? Schon Paulus wandte sich gegen solchen Auffassungen:
“... Wie werden die Toten auferstehen? Und mit welcherlei Leibe werden sie
kommen? Du Narr, was du säst wird nicht lebendig, sondern es stirbt. Und was du
säst ist ja nicht der Leib, der werden soll, sondern bloß ein Korn, Weizen oder
etwas anderes. Gott, aber, gibt ihm einen Leib wie er will und einem jeglichen
von dem Samen seinen eigenen Leib. ... Es wird gesät ein natürlicher Leib und
es wird auferstehen ein geistiger Leib. Hat man einen natürlichen Leib, so hat
man einen geistigen Leib.” (1. Kor. 15.35-38 u. 44). Säen führt den Gedanken
daran, dass der Körper in die Erde gelegt wird. Dass der Auferstehungsleib am
Ende einer Reihe von Verkörperung kommt, wird hiervon nicht widersprochen. Und was ist mit den Seelen, die angeblich in die
“ewige Hölle” abwandern? Bekommen auch sie ihren Leib zurück, oder nur
diejenige im Himmel? Sind vielleicht Leib und Seele für die Hölleverdammten
doch noch trennbar? Schließlich können wir uns mit Recht fragen, warum und
wozu gerade nur wir Menschen für ewige Zeiten und sogar nach der Auferstehung
dazu verdammt sein sollten, uns mit dem schweren physischen Leib wie ein
Klumpfuß immer noch herumzuschleppen, wo doch die Engel keinen haben müssen,
und nicht einmal die Teufel? Kirchliche
Umdeutung des Aristoteles Die
Vorstellung der Untrennbarkeit von Körper und Seele hat die Kirche nicht von
der Bibel, sondern von Aristoteles her [1], einem griechischen Philosophen, der
im 4. Jahrhundert vor Christus lebte. Wie in einem früheren Artikel
dargestellt, hatte Origenes eine andere Ansicht über Körper und Seele als das
Dogma (aber nicht unbedingt als Aristoteles) [4,5]. Aristoteles schrieb eine Abhandlung mit
dem Titel Über die Seele, deren Buch II die Aussagen beinhaltet, mit
welchen die Kirche dieses Dogma begründen will. Hier sollen diese genauer
studiert werden. II 1,412b “Es ist aber nicht der Körper, der die Seele
verloren hat, gleich dem, der die Möglichkeit hat zu leben, sondern vielmehr,
der sie besitzen wird ...” [2]. “Das, was die Fähigkeit zum Leben hat,
ist nicht der Körper der die Seele verloren hat, sondern der, der die Seele
besitzt ...” [3].* Ein Körper ohne Seele kann
nicht leben. Der seelenlose Leib ist tot. Wenn er die Seele verlieren kann,
sind die zwei offensichtlich trennbar. II 1,413a “... die Seele und der Körper machen ein Lebewesen
aus. Es ist offensichtlich, dass weder die Seele, noch Teile davon, wenn sie
Teile hat, vom Körper abgetrennt werden kann; ...” [3]. ... ohne dass der Körper
stirbt. Würde man die Seele ganz oder (wenn möglich) zu einem (wesentlichen)
Teil abtrennen, müsste der Körper sterben. Ein Körper ohne Seele ist nicht
(mehr) ein Lebewesen. II 2,413a “... was eine Seele hat unterscheidet sich von
dem, das keine hat, dadurch, dass es lebt.” [3]. Ein Körper ohne Seele ist
tot. II 2,413b “Was aber dem Verstand und der Denkfähigkeit
betrifft, ist die Sache noch unklar; es scheint sich hier um eine besondere Art
von Seele zu handeln, und diese alleine kann abgetrennt werden, so wie das
Ewige (Unsterbliche) vom Vergänglichen. Aber was übrigen Seelenteilen betrifft,
ist es von dem, was wir gesagt haben, offensichtlich, dass sie nicht (wie
einige behaupten) abtrennbar sind.” [3]. Also gibt es eine Seelenart, die
abgetrennt werden kann ... Hier ist aber eine Abtrennung ohne Sterben des
Körpers gemeint. Das Denken hört im Schlaf und in der Bewusstlosigkeit auf,
ohne dass der Körper stirbt. Ein geistig stark behinderter Mensch lebt auch,
ohne viel denken zu können. Ein Tier lebt ebenfalls, ohne dass wir ihm
eigentlich ein wesentliches Denkvermögen anerkennen. Vgl. Origenes’ Lehre von zwei
Seelen [6]. II 2,414a “Wie wir bereits gesehen haben, ist Substanz
(Wesenheit) dreifach: Form, Stoff und eine Verbindung von beiden. Hiervon ist
der Stoff die Potentialität (Möglichkeit) und die Form die Aktualität (Erfüllung);
und da die Verbindung beider etwas Beseeltes ist, kann der Körper nicht die
Aktualität (Erfüllung) der Seele sein, aber die Seele ist die Aktualität
(Erfüllung) eines Körpers. [3]. So ist die Meinung derer richtig, denen
die Seele weder ohne Körper noch ein Körper zu sein scheint. [2]**. Sie ist nicht ein Körper, aber ist mit einem Körper
verbunden und befindet sich deshalb in einem Körper, und das in einem
bestimmten Körper ... Aus all dem geht klar hervor, dass die Seele eine Art von
Aktualität oder Begriff von dem ist, das die Fähigkeit hat, eine Seele zu
haben.” [3]. Was die Verbindung von Körper und Seele
betrifft, manifestiert sich die Seele durch einen Körper, der ihr zugeteilt ist
und eine Seele haben kann, aber sie ist nicht selbst ein Körper. II 4,415b “Die Seele ist des lebenden Körper Ursache und
erstes Prinzip (Grund).” [3]. Der
Körper lebt wenn und weil er eine Seele hat Ist
dann die Schlussfolgerung hieraus des Dogmas richtig? Der Körper ist ein
Substrat für die Seele, durch den sie wirkt. Nur so lebt der Körper. Wird die
Seele abgetrennt, stirbt der Körper. Es ist also in Aristoteles' Anschauung offensichtlich
nicht so, dass die Seele gar nicht ohne Körper existieren könne. Wenn sie aber
einen Körper hat, drückt sie sich durch diesen aus, so wie wir ihren Ausdruck
auf der materiellen Ebene wahrnehmen können. Das schließt nicht aus, dass sie
ohne physischen Körper sich auf einer für uns nicht wahrnehmbaren Ebene
ebenfalls ausdrücken kann. Nach Origenes mag sie ohne physischen Körper
gleichwohl einen immateriellen Körper haben [7]. Das kirchliche Dogma von der Untrennbarkeit von Seele
und Leib erscheint uns hiermit als eine zweckdienliche Abwandlung der Lehre des
Aristoteles, eine zurechtgeschnitte Begründung einer vorgefassten Meinung. Man
hat fast den Eindruck, dass man — da nun keine genügend brauchbare Begründung
einer erwünschten Lehrmeinung in der Bibel zu finden war — verzweifelt in der
Philosophie danach hat suchen müssen, bis man etwas einigermaßen Brauchbares
bei einem Mann fand, der nicht einmal Christ war (und auch nicht ein jüdischer
Gelehrter, wie es zum Alten Testament gepasst hätte). Und doch hinkt diese
Begründung ... Man findet sogar in der Bibel selbst Widersprüche zum
Dogma der Untrennbarkeit, z.B. in 2. Kor. 5.8 und Phil. 1.23 (s. Kapitel 2).
Jesus scheint eine solche Auffassung in Joh. 3.6 zu widersprechen. Auch
beinhaltet die Fegefeuerlehre einen Widerspruch dazu: Sofern das “Fegefeuer”
nicht erst nach einer Endzeit kommen soll, muss doch die Seele erst vom Körper
losgelöst da hindurch, während (nach dem Dogma) der Körper (oder dessen Reste)
noch unauferstanden im Grabe liegt. Referenzen * Die deutsche Übersetzung nach [2] ist zwar genau, aber etwas
umständlich und stellenweise weniger leicht verständlich, sodass ich weiterhin
die englische Übersetzung nach [3] ins Deutsche übertrage, ggf. mit
alternativer Wortwahl nach [2] in Klammer. ** An dieser Stelle nach [2], weil in [3]
interpretierend übersetzt. Die Seele ist weder körperlos noch ist sie selbst
ein Körper. Sie ist, solange er lebt, mit einem bestimmten Körper — nicht
irgendeinem — verbunden.