Kommentare zu Texten über Reinkarnation

auf der Webseite www.religio.de

von Jan Erik Sigdell

 

1. Reinkarnation und Karma

von Rainer Schumann – www.religio.de/ei/info/ost/re.html

 

Der Herkunft der Reinkarnationsidee dürfte so alt sein wie die Menschheit. Man findet Hinweise auf unterschiedliche Formen von Reinkarnationsglauben in allen alten Kulturen, auch in solchen, die keinen Kontakt mit Indien haben konnten, auch schon lange bevor es die griechische Philosophie und die christliche Gnosis gab. Dazu gehören die großen Indianervölker, Wikinger, Kelten, Perser, afrikanische und polynesische Völker, zumindest die spätere ägyptische Kultur, u.s.w., aber auch Strömungen im Judentum, v.a. in der Kabbalah und im Chassidismus, einige Strömungen im Islam und eben das gnostische Urchristentum.

Der Artikel scheint eine besondere Strategie zu haben. Er befasst sich ausschließlich mit indischen Vorstellungen und will dadurch vermutlich davon ablenken, dass es eine zeitgemäße westliche Reinkarnationsauffassung gibt, die in vielem anders ist. Indien ist aber nicht einmal der Ursprung der Reinkarnationslehre, sondern eine Kultur, in welcher die Lehre überlebt hat. In anderen Kulturen und Religionen ist die Lehre in oder mit der Kultur größtenteils verschwunden.

Es stimmt, dass die ältesten indischen Schriften, die Veden, kaum etwas von Reinkarnation erwähnen, sondern diese Lehre taucht erst in den Upanishaden auf. Das ist aber kein Argument dagegen, dass es die Lehre auch in anderen alten Kulturen gab. Siehe oben.

 

Dass es in Indien auch konkrete Vorstellungen gibt, wann man z.B. als Ratte geboren würde, gehört zu Spekulationen, die eher im volkstümlichen als im theologisch wissenschaftlichen Hinduismus der Gelehrten anzutreffen sind. Der Hinweis darauf dient deshalb eher dem Versuch, die Sache als lächerlich darzustellen.

Was ist Brahman? Man kennt zwei Begriffe: “Das Brahman” und “Der Brahma”. Das Brahman ist das höchste Sein, wofür es sehr wohl ein passendes deutsches Wort gibt, nämlich “Gott”! Der Brahma ist eine Manifestation von Gott und gehört zu einer Dreieinigkeit, nämlich Brahma als der höchste der drei, dann noch Vishnu und Shiva. Weder der Begriff Gott noch der Begriff Dreieinigkeit sind ja dem Christentum fremd … Kann man also wirklich behaupten, dass die Hindus wirklich nur polytheistisch sind? Sie kennen ja, wie wir, nur  einen höchsten Gott – eben das Brahman – und unter ihm eine Anzahl von Götter und Göttinnen, und sogar wie wir eben eine Form von Dreieinigkeit. Der Christ kennt ja auch noch die Engel … Die Form des Glaubens ist natürlich in Indien und im Christentum sehr unterschiedlich, aber es gibt im Grunde gewisse strukturelle Parallelen … und wenn beide nur einen höchsten Gott kennen – warum sollte es nicht der Gleiche sein?

In der jüdisch-christlichen Glaubenstradition gibt es sogar auch Göttinnen! Man kann wohl nicht leugnen, dass Maria effektiv zu einer christlichen Göttin geworden ist, und die gnostischen Urchristen betrachteten den Heiligen Geist als weiblich. In einer apokryphen Schrift wird von Jesus die folgende Äußerung zitierte: “Meine Mutter, der Heilige Geist …”! In der Bibel ist die Weisheit Gottes, die Sophia, weiblich und die Kabbalah kennt die Shechina als “die Geliebte Gottes”.

Die religionshistorische Forschung der letzten Jahrzehnten hat gezeigt, dass die ursprüngliche hebräische Religion eher polytheistisch war [1]. Man kannte El Elyon als der höchste Gott (was natürlich den Begriff “polytheistisch” relativiert, da dieser wiederum nur einer ist). Er hatte viele Söhne, und einer davon war Jahweh, der auch eine Gemahlin namens Asherah hatte. Asherah erscheint über 40 Mal in der Bibel, ihr Name wird aber verzerrend als “Baum” oder “Hain” übersetzt und manchmal als ein weibliches, manchmal als ein männliches Wort behandelt. Wenn in männlicher Form, weist es auf ihr Symbol hin, das ein Holzstab ist, oder auch ein Baum, weil das Wort Asherah von einer Wurzel kommt, die u.a. “aufrecht” bedeutet. Wenn die Bibel verbietet, am Altar Jahwehs einen Baum zu pflanzen (5. Mos. 16,21), bedeutet dass in Wirklichkeit, dass man ihr Symbol am Altar nicht aufstellen dürfe. Im ägyptischen Exil wurde nämlich das ganze Pantheon “abgewählt” und bloß Jahweh behalten, da er als Kriegsgott der Sache der ausziehenden Hebräer besonders dienlich war. Er befahl dann, im gelobten Land alle abzuschlachten (siehe hierzu v.a. die Bücher Josua und Richter in der Bibel), die schon dort lebten, um dem Hebräer zu geben “große  und feine Städte, die du nicht gebaut hast, und Häuser alles Guts voll, die du nicht gefüllt hast, und ausgehauene Brunnen, die du nicht ausgehauen hast, und Weinberge und Ölberge, die du nicht gepflanzt hast, dass du essest und satt wirst” (5. Mos, 6,10-11, vgl. Neh. 9,24-25). Das steht “schwarz auf weiß” in der Bibel!

Aus diesem Grund sahen die gnostischen Christen in Jahweh nicht den Urschöpfer, sondern einen Demiurg (griech. “Handwerker“), der sich eher mit sekundären Schöpfungen befasste. Über ihn stände ein anderer und höherer, der Urschöpfer und derjenige, der Jesus als “Vater“ bezeichnete. Der Grund ist, dass die gnostischen Christen die Grausamkeit und Rachsucht des Gottes des Alten Testaments als widersprüchlich zur Liebe und Güte eines höchsten Gott auffassten.

 

“Atma(n)” ist ein vielseitiger Begriff und kann nicht einfach so mit dem Brahman identifiziert werden! Zunächst ist atma(n) die Seele des Menschen, jivatma(n). Auf der allerhöchsten Ebene ist atma(n) auch das Brahman, paramatma(n). Das Wort hat mit allem Lebendigem zu tun, in der materiellen Welt bis zu Gott selbst. Was Gott in allem ist, ist atma(n). Jiva ist die physische Lebensform, in die sich der atma(n) als jivatma(n) inkarniert.

Wenn man alles als Illusion betrachtet, wird natürlich die Reinkarnation – aber auch die Kirche! – zu Illusion. Das ist nur eine von vielen möglichen Betrachtungsweisen. Außerdem ist die Illusion relativ. Und wer möchte z.B. den Holocaust als Illusion bezeichnen! Das wäre aber die letzte Konsequenz einer solche Betrachtungsweise, die in Indien vorkommt aber nicht grundsätzlich so gemeint ist, wie es der Verfasser darstellen möchte.

Es wird wieder die Meditation als Erkenntnisweg der Reinkarnation hervorgehoben, obwohl es für Rückerinnerung keineswegs die Meditation braucht. Die wahre Erkenntnis sei aber, dass es sich nicht um eine Rückerinnerung handle, sondern darum, die raumzeitliche Wirklichkeit als gleichzeitige Einheit zu sehen, wobei man frühere Existenzen als eine transtemporale Einheit gewahr würde. Damit wäre auch das Karma überschritten. Da ist der Verfasser vielleicht selbst einer Illusion zu Opfer gefallen …

 

Referenz:

1. Ein Gott allein? JHWH-Verehrung und biblischer Monotheismus im Kontext der israelitischen und altorientalischen Religionsgeschichte, 13. Kolloquium der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, hg. v. Walter Dietrich und Martin A. Klopfenstein, Universitätsverlag, Freiburg CH, 1994

 

 

2. Reinkarnation (Seelenwanderung)

von Johannes Aagaard (nicht Aargaard!),

aus dem Dänischen übersetzt – www.religio.de/dialog/395/395s13.html

 

“Die Leute, die die neuen Wörter gebrauchen, haben manchmal kein tiefes Verständnis für die von ihnen verbreiteten Wörter” so wie die kirchlichen Theologen auch, wenn es z.B. um gnostisch-christliche oder indische Wörter und Begriffe geht. “Der Grund dafür ist unter anderem, dass die geistlichen Berater der neureligiösen Bewegungen dazu neigen, ‘die Worte zu verhüllen’, sodass sie sich für den Außenstehenden akzeptabler anhören”, ebenso wie kirchliche Theologen umgekehrt die Wörter so darstellen und mit ihnen umgehen, dass sie unakzeptabel erscheinen oder missverstanden werden sollen.

Wenn Paulus von “Saat und Ernte” schrieb – “Was der Mensch säht, wird er ernten” (Gal. 6,7) – meinte er nach Aagaard, dass man sähen soll, um für die Zukunft etwas zu haben. Wie die Äußerungen Jesu im Sinne von “was du Anderen tust wird auch dir getan werden” zeigen, ist das eine verdrehte Betrachtungsweise, die erreichen will, darin keinen Hinweis auf Karma zu sehen – eben die oben genannte Wortverdrehung! Es ist von anderen Bibelstellen her doch ganz klar, dass Paulus das meint, was man säht: Eine gute Saat bringt gute Ernte, eine schlechte bringt schlechte Ernte.

Karma ist gar nicht grundsätzlich negativ, sondern im Grunde neutral. Alles, was wir tun, hat Folgen. Gute Taten – besonders für die Mitmenschen – haben gute Folgen, schlechte Taten (auch die Unterlassenheitstat) haben schlechte Folgen. Ob gut oder schlecht wird von der Tat bestimmt. Will es wirklich jemand als Unrecht bezeichnen, wenn eine Person, die Bettler verachtet und sie am liebsten mit einem Tritt in den Hintern verjagt, einmal selbst als Bettler da sitzen wird? Nicht als Strafe, sondern als Lektion. Sie erfährt dann in ihrer Seele, wie es ihren Opfer ging und was sie ihnen angetan hat.

Gutes Karma wird natürlich nicht dazu führen, dass man sich auf Kosten Anderer bereichen kann und in “die glückliche Lage des Unterdrückers” kommt. Reagiert jemand so verkehrt, missbraucht er sein gutes Karma und erntet neues, das gar nicht so gut ist … Es geht natürlich nur darum, ein friedliches Leben ohne Not zu haben, aber nicht in mehr Wohlstand, als was sinnvoll ist und man mit seinem Gewissen vereinen kann. Somit kann die richtig verstandene Karmalehre keineswegs “den Reichen, den Gesunden und den Unterdrücker in seiner Selbstsicherheit, Zufriedenheit und Unbußfertigkeit” bestärken. Hier liegt eine erhebliche Wort- und Sinnverdrehung vor, eben in dem Sinne, wie es im ersten Absatz schon besprochen wurde!

Er stellt die Reinkarnation als einen ewigen Kreislauf dar, womit er ebenso leichtfertig mit dem Wort “Samsara” umgeht. Jeder Inder weiß, dass das Ziel ist, aus der Reinkarnationsfolge herauszukommen – wie könnte sie dann ewig sein? Die Verbindung mit Gespensterglauben ist offensichtlicher Unsinn.

Dann wiederkaut er eine so alte wie falsche Behauptung, nämlich, dass alle Reinkarnationsgläubige sich daran erinnern würden, “Fürsten, Prinzen, Indianerhäuptlinge oder ähnliches” gewesen zu sein. “Nur selten hört man von jemandem, der sich daran erinnern kann, dass er in einer früheren Inkarnation gewöhnlicher Bauer, Hausfrau oder Rohrleger war” – das ist entweder bewusst gelogen oder eine große Ignoranz der Tatsachen. Er hat offensichtlich keine Ahnung von solchen Rückerinnerungen und stellt sie wiederum im Sinne seiner Strategie wortverdrehend dar. Sonst würde er wissen, dass Prinzen u.ä. nur ausnahmsweise vorkommen, und dass fast alle sich eher an Leben erinnern, in welchen sie ganz gewöhnliche Menschen waren, manchmal sogar Straßenräuber, Gaukler oder Kinderschänder …

So tut er selbst, was er “Neohindus” vorwirft – der westliche Reinkarnationsgläubige ist aber meistens nicht ein “Neohindu”, sondern auch hier geht er strategisch und tendenziös entstellend mit den Wörtern um! – nämlich dass er “etwas Grundlegendes in der Reinkarnationslehre falsch” interpretiert.

Das alte kirchliche Vorurteil, die vorgefasste Meinung, dass Körper und Seele untrennbar seien, ist unbiblisch und unhaltbar. Diese Idee wird von vielen Bibelstellen widersprochen (u.a. in 1. Mos. 35,18, 1. Sam. 28,11-15, 1. Kön. 17,21-22, Psalter 31,6, Pred. 12,7, Matth. 10,28 und 17,3, Luk. 8,54-55, Luk. 12,20, 16,23-28 und 23,43, Apg. 7,58 und 20,10, Röm. 7,24, 2. Kor. 4,16-18, 5,8 und 12,2-3, 2. Petr. 1,14-15, Offb. 6,9, 7,9-17, 15,2-4, 19,14 und 20,4). Im Tod wird die Seele selbstverständlich den zerfallenden Körper verlassen müssen – oder soll sie in der verwesenden Leiche bleiben? Sollen wir etwa Zombies werden? Also geht es wahrhaftig darum, Körper und Seele als trennbar zu erkennen, so wie es Menschen auch in manchen Nahtoderlebnissen erfahren haben. Diese Erkenntnis ist keineswegs zerstörend, sondern wahrheitsentsprechend lehrreich.

 

Der Auferstehungsglaube ist auch im Reinkarnationsglauben beinhaltet! Die definitive Auferstehung kommt nach der letzten Inkarnation. Wie Paulus schrieb (1. Kor. 15,35-47), hat man dann nicht mehr einen physischen Leib, sondern einen geistigen oder seelischen. Das kann man dann auch als eine Wiederverkörperung betrachten! Nur nicht noch einmal in einem physisch materiellen Leib.

Es gibt den Tod nicht wirklich, da ja die Seele unsterblich ist. Somit kann man nicht sagen: “Diese Liebe kann der Tod nicht vernichten”, sondern: Die Liebe vernichtet den Tod! Die Liebe Gottes, die uns Christus bringt, die Liebe unter den Menschen, jede Form von wahrer und selbstloser Liebe – ob sich die Person zu Christus bekennt, oder nicht. Die Liebe ist etwas Allgemeingültiges. Mahatma Gandhi war in der Tat ein großer Christ, ohne sich als einen solchen zu sehen! Wer selbstlos liebt, ist in der Betrachtungsweise des wahren Christentums im Grunde schon ein Christ, wenn auch ohne es zu wissen, aber wer sich als Christ bezeichnet, liebt nicht automatisch selbstlos, wie die Welt und die Geschichte mit großer Deutlichkeit zeigen …

Wenn man “Samsara” als eine Verdammnis in ewigem Leben des Reinkarnierens versteht, begreift man die Sache nicht, oder man verdreht sie. Wie schon geklärt, ist keine Reinkarnationsfolge ewig. Die Reinkarnation ist kein Albtraum, sondern am Ende eine Erlösung, und beinhaltet keine ewige Verdammnis. Statt dessen beinhaltet sie die große Liebe und Gnade Gottes, dass keine Seele verloren geht. Jede kommt zu Gott zurück, von dem sie ausgegangen ist, manche aber auf langen Um- und Irrwegen (vgl. Luk. 15,3-32). Somit kann die Reinkarnationslehre keineswegs ein “großes ‘Nein’” zur Liebe Gottes durch Jesus Christus sein, sondern ein “Ja” zu Gottes Gnade und Liebe, so wie es die gnostischen Urchristen auch betrachteten.

“Kein Mensch kann oder muss seine Sünden (oder sein schlechtes Karma) selbst tragen. Alles wird von Jesus Christus getragen.” So leicht und bequem kann man es sich nicht machen! So leicht entkommen wir nicht unseren Taten, dass wir es einfach Christus überlassen können, für uns den  Schlamassel zu erledigen, den wir selbst verursacht haben, etwa: “Mache Du das für mich in Ordnung, ich mag es nicht”. Wir müssen schon selbst etwas dafür tun, und auch unsere üblen Taten wieder gut machen.