Die andere Realität, Gladbeck, Nr. 4/2002, S. 1 + 4


 

Warum fürchtet die Kirche den Reinkarnationsglauben?

Ein Interview mit Dr. Jan Erik Sigdell

 

DIE ANDERE REALITÄT: Sie behaupten, der Reinkarnationsgedanke ist bewusst aus der Bibel entfernt worden. Welche Belege haben Sie dafür?

Dr. Sigdell: Ich behaupte nicht, dass der Reinkarnationsgedanke bewusst aus der Bibel entfernt worden ist, aber dass er durch die Übersetzungen verschleiert wurde. Die altgriechische Version des Neuen Testaments liegt uns noch heute vor. Sie wird nach meiner Meinung nicht wesentlich anders sein, als in den ersten Jahrhunderten nach Christus. Es gibt darin verschiedene Stellen, die erst unter der Annahme der Reinkarnationslehre verständlich werden, aber es gibt keine konkreten Widersprüche gegen die Reinkarnationsvorstellung. Es ist allerdings eine andere Sache mit den vielen verschiedenen neuzeitigen Übersetzungen in modernen Sprachen. Sidney Schwarz weist in seinem Buch My First Encounter with an Angel (Medicine Bear Publishing, Blue Hill ME, USA, 1999) nach, dass es in den englischsprachigen Bibelübersetzungen bis zu 50 verschiedene Übersetzungen aus dem Hebräischen von wichtigen Stellen des Alten Testaments gibt. Mit dem Neuen Testament ist es nicht wesentlich anders – abgesehen davon, dass wir es hier zu einem großen Teil sogar mit doppelten Übersetzungen zu tun haben: Erst aus dem Aramäischen ins Griechische, dann aus dem Griechischen in eine moderne Sprache. Dabei liegen uns nicht einmal die aramäischen Urtexte vor, sondern wir können nur von der griechischen «Urübersetzung» ausgehen, ohne nachprüfen zu können, inwieweit jene Übersetzung originalgetreu ist oder an verschiedenen Stellen auch sie hätte anders übersetzt werden können. Man hat in neuzeitigen und bereits in mittelalterlichen Übersetzungen aus dem Griechischen wichtige Textabschnitte tendenziös nach dogmatischer Vorgabe übersetzt, so wie man diese nach dem Dogma verstehen «soll». Es wurde uns vorenthalten, dass man sie auch anders verstehen und übersetzen kann. Wichtige Stellen des Neuen Testaments in sprachlich völlig richtigen alternativen Übersetzungen werden hierdurch nicht nur erst verständlich, sondern sie unterstützen in mehreren Fällen die Reinkarnationsidee. Einschlägige Beispiele sind in meinem Buch zu finden. Es ist nur das Dogma, und gar nicht die Bibel, das der Reinkarnationslehre widersprechen will.

 

DIE ANDERE REALITÄT: Haben Sie etwas gegen Jesus oder das Christentum?

Dr. Sigdell: Gegen Jesus und das Urchristentum habe ich gar nichts. Im Gegenteil sehe ich Jesus als den bisher Wichtigsten aller Lehrer der Menschheit. Was aber das kirchliche Dogma daraus gemacht hat, ist nicht mehr das, was Jesus seinen Jüngern lehrte. Der Erste, der die ursprüngliche Lehre entfremdete, war Paulus. Das Dogma bezieht sich mehr auf ihn als auf Jesus. Sinngemäß ist deshalb das kirchliche Dogma viel mehr paulinisch als christlich! Aus Gründen, die wohl mit Macht und Unterdrückung des freien Denkens zu tun haben – Verhütung der Bildung einer eigenen Meinung – hat das Kirchentum die Lehre Jesu entstellt und zu einem Machtinstrument umgemünzt. Die wichtigsten der urchristlichen Gnostiker hatten die wahre Lehre noch einigermaßen aufrecht gehalten, wurden aber als Ketzer bezeichnet, verurteilt und verfolgt. Die meisten von ihnen glaubten an die Reinkarnation, oder hielt sie zumindest für möglich. Es überlebte bis ins 13. Jahrhundert ein vergleichsweise unverfälschtes Urchristentum im Katharertum. Diese wohl christlichste aller Bewegungen der Geschichte der Christenheit wurde in einem veritablen Völkermord im 13. Jahrhundert bis zur letzten Frau und zum letzten Kind von der Kirche ausgerottet. Die Gebote von Liebe und Nicht-Töten waren ihr da nichts mehr wert … Es gab eine verwandte Bewegung im Manichäismus, der ein paar Jahrhunderte später im Sand der Geschichte versickerte. Der Manichäismus war ein gnostisches Christentum, das allerdings auch mit buddhistischen und altpersischen Elementen ein wenig vermischt war. Die Katharer und die Manichäer lehrten auch die Reinkarnation. Ich empfinde mich als Christ! Aber als Anhänger des wahren Christentums, das im Kirchentum nicht mehr vorhanden ist.

 

DIE ANDERE REALITÄT: Was würde passieren, wenn die Kirche den Reinkarnationsglauben akzeptierte – würde sie nicht in sich zusammenbrechen?

Dr. Sigdell: Wenn die Kirche die Reinkarnationslehre akzeptieren würde, würde wohl ihre heutige Machtstruktur zum Teil zusammenbrechen. Aber sie würde sich einer urchristlichen Wahrheit öffnen, die sie bisher geleugnet hat. Sie würde nicht untergehen, sondern erneuert wieder Achtung und neue Zuwendung erleben – erst recht dann, wenn sie den Mut hätte, Fehler und Verirrungen zuzugeben. Nicht an erster Stelle die Reinkarnationslehre, sondern viel mehr eine grundsätzliche Neuorientierung nach dem Urchristentum, wäre die wohl einzig wirksame Lösung des heutigen Konfliktes zwischen Kirche und Menschen, die dahin führt, dass immer mehr Menschen die Kirchen verlassen. Es ist sehr schade, dass wahrscheinlich gar nicht wenige damit auch das Christentum verlassen, in der Irrmeinung, dass die Kirche die wahre Lehre von Jesus Christus vertrete. Kirche und wahres Christentum sind in Wirklichkeit zweierlei! Manche urchristliche Gnostiker vertraten die Meinung, dass Jesus seinen Jüngern die Reinkarnation gelehrt habe und nur nicht öffentlich davon sprach (vgl. Joh. 16,12: «Ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen»).

 

DIE ANDERE REALITÄT: Was ist in der Reinkarnationslehre „gerechter" als das, was die Kirche lehrt?

Dr. Sigdell: Nach meiner Meinung ist die Reinkarnationslehre nicht nur «gerechter» als die Lehre des kirchlichen Dogmas von einer ewigen Verdammnis, sondern sie bietet den Menschen auch viel mehr Hoffnung. Keine Seele ist für immer verloren, sondern jede Seele wird am Ende errettet. Dies ist nur eine Frage der Zeit. Manche Seelen machen lange Umwege … Die Lehre von der ewigen Verdammnis ist nicht nur ein blasphemischer Widerspruch zur Liebe Gottes, sondern auch eine Unfähigkeitserklärung von Gott! Er wäre demnach nicht fähig, alle Seelen zu retten! Das ist ja im Grunde die Konsequenz der kirchlichen Meinung … Eine ewige Höllenstrafe wäre also nicht nur ohne jedes gerechte Verhältnis zum Vergehen (für einige Jahre übles Verhalten ewig leiden), sondern ein Versagen der Schöpfung!

 

DIE ANDERE REALITÄT: Was ist der Anreiz, sich wiederverkörpern zu sollen – warum?

Dr. Sigdell: Wir reinkarnieren nicht aus «Anreiz» – nicht weil wir es wollen, sondern weil wir es müssen. Die Reinkarnation, mit ihrem Karma-Gesetz, ist eine Seelenschule. Die Hauptlehre ist die der uneingeschränkten Liebe zum Mitmenschen. Wenn wir auf der Seelenebene begreifen, dass alle Menschen unsere Geschwister sind – aus dem gleichen göttlichen Licht – und wir danach leben, dann ist eine wesentliche Bedingung erreicht, um nicht mehr inkarnieren zu müssen. Eine weitere ist, dass wir uns mit unseren ehemaligen Tätern und Opfern versöhnt haben. Karma ist weder Strafe noch Rache. Wenn ich später am eigenen Leibe erlebe, was ich heute anderen tue, lerne ich auf Seelenebene, wie falsch das ist, und ich werde es hoffentlich nie wieder tun können. Karma ist auch nicht ein blindes Gesetz. Wenn ich selbst zu Einsicht und Umkehr gelange, erübrigt sich eine entsprechende Lektion. Leider kennen viele Menschen aber erst Rechtfertigungen und Ausreden und wollen nicht wahr haben, Unrecht getan zu haben. Solche Seelen werden ihre Lektionen haben müssen, ob sie wollen, oder nicht … Wie man sagt «Wer nicht verstehen will, muss fühlen!»

 

DIE ANDERE REALITÄT: Muss man reinkarnieren oder ist das eine Entscheidung, die dem freien Willen unterliegt?

Dr. Sigdell: Der freie Wille hat zunächst nicht mit Reinkarnation und Karma zu tun, sondern mit unseren Taten. Ich kann frei wählen, wie ich handele. Jede Tat hat Nachwirkungen, Konsequenzen. Ich werde ernten, was ich säe. Gute Taten haben gute Folgen, üble Taten üble Folgen. So gesehen ist das Karma im Grunde unwertend. Ich bekomme einfach in der gleichen Qualität zurück, in der ich es tat. Wenn ich wähle, in der einen oder anderen Weise zu handeln, wähle ich automatisch die Folgen mit. Der freie Wille geht nicht so weit, dass ich dann auch noch unangenehme Folgen wegwählen kann. Das Prinzip ist: «Alles, oder nichts.» Taten mitsamt den entsprechenden Folgen – oder dann keine Taten (gibt es das? ... auch die «Unterlassungstat» hat ihre Folgen!). Man kann nicht die Rosinen aus dem Kuchen herauspflücken und den Rest wegwerfen. Mann muss wohl oder übel immer den ganzen Kuchen essen, den man einmal gebacken hat!

 

DIE ANDERE REALITÄT: Wer entscheidet in der geistigen Welt mit, ob und wie man wieder inkarniert?

Dr. Sigdell: Wir entscheiden selbst über das «Programm» der neuen Inkarnation. Allerdings auf der Ebene von unserem Höheren Selbst. Im Zwischenzustand zwischen zwei Inkarnationen haben wir immer noch unser Ego, aber es hat dort nicht die gleiche Macht über uns. Auf der Ebene vom Höheren Selbst weiß ich, welche Inkarnation ich auf mich nehmen muss, um in der Entwicklung weiter zu kommen – auch wenn mein Ego dies nicht mag. Es ist wie der Vater der seinen Sohn zur Schule schickt damit «etwas aus ihm wird». Der Sohn will nicht, aber muss. Der Vater entspricht hier unserem Höheren Selbst, der Sohn unserem Ego.

 

DIE ANDERE REALITÄT: Wählt man sich eine nächste Inkarnation völlig frei oder gibt es bestimmte Dinge zu berücksichtigen?

Dr. Sigdell: Wenn wir sterben, haben wir im Wesentlichen die nächste Inkarnation bereits gewählt! Was ich in dieser Verkörperung noch nicht einsehen will, was ich nicht wahr haben will, was ich mit Rechtfertigungen und Ausreden von mir weise, ist gerade das, was zum Programm der nächsten Inkarnation gehört (oder der nächsten Inkarnationen, denn vielleicht kommt nicht alles auf einmal). Wo ich am meisten versagt habe – in Liebe, in Einsicht – ist auch das, wo ich am meisten etwas nachzuholen habe. Wenn ich z.B. einem Notleidenden einen Tritt in den Hintern gebe, statt ihm zu helfen, habe ich in jenem Moment selbst gewählt, irgendwann in der Zukunft eine ähnliche Not zu leiden. Ich weiß es nur noch nicht in meinem egohaften bewussten Ich, aber mein Höheres Selbst fügt dies mit Bedauern als neuen «Programmpunkt» hinzu: «Ach wie schade, das hat das Ego noch nicht begreifen wollen, da müssen wir leider durch eine neue Lektion.»

 

DIE ANDERE REALITÄT: Darf ein Christ überhaupt an Reinkarnation glauben?

Dr. Sigdell: Das kirchliche Dogma meint, dass ein Kirchengläubiger nicht an die Reinkarnation glauben solle. Es gibt jedoch keinen Konzilsbeschluss, der dem Kirchenzugehörigen diesen Glauben verbietet. Die immer wiedergekaute Meinung, dass man die Reinkarnationslehre im Konzil von Konstantinopel 553 verboten habe, ist falsch – wie ich in meinem Buch gezeigt habe (nicht als Erster nachgewiesen, sondern ich habe den Nachweis aus der Kirchengeschichte herausgegraben und abgestaubt). Die Gnostiker – die für mich die wahren Urchristen waren – glaubten, wie bereits erwähnt, zum großen Teil an die Reinkarnation. Dazu gehörte auch Origenes, wie sehr sich das Dogma bemüht hat, hier ein unwahres Bild zu zeichnen (dies habe ich in meinem Buch auch gezeigt). Meine Meinung ist eher: Der Christ nach der wahren Lehre Jesu wird meistens von sich aus an die Reinkarnation glauben, aber der vermeintliche «Christ» nach dem Kirchendogma traut sich nicht, sich mit dieser Lehre zu befassen!

 

DIE ANDERE REALITÄT: Viele Wissenschaftler halten mittlerweile für erwiesen, dass es Außerirdische geben muss, da es im Gesamtkosmos 1020 erdähnliche Planeten gibt. Ist es analog, dass es weitere Dimensionen geben muss, außer den drei, die wir wahrnehmen und dort ebenfalls Leben existieren müsste?

Dr. Sigdell: Es gibt eine im wahrsten Sinne des Wortes «astronomische Zahl» von Planeten und nach Schätzung der Schulastronomie in der Größenordnung von einer Milliarde von Planeten mit Voraussetzungen für biologisches Leben. Es ist natürlich reiner Irrsinn und jeder Logik widersprechend, zu meinen, dass wir als biologische Entitäten im Weltraum alleine seien! Tatsächlich erleben einige wenige Menschen sich in Rückführungen auch auf anderen Planeten wieder. Wir können solche Erlebnisse in keiner Weise nachprüfen. Es ist nicht auszuschließen, dass einige solche Erlebnisse fantastische Symbolerlebnisse sind, aber nach meiner Meinung mit Sicherheit nicht alle! Nun existieren wir wahrscheinlich aber nicht nur als biologische Entitäten – nach unserer üblichen dreidimensionalen Auffassung von «biologisch». Die Schulphysik rechnet in ihren mathematischen Modellen schon lange mit einem mehrdimensionalen Universum – hat jedoch Mühe, für wahr zu halten, womit sie selbst rechnet … Ohne Zweifel gibt es Wesen, die in weit mehr als «unseren» drei Dimensionen leben, auf die unsere physischen, Wahrnehmungsorgane allerdings eingeschränkt sind. Wir sind ja als Seelen selbst solche Wesen! Wie sonst könnten wir weiter existieren – mit einem «Ich», mit klarer Erinnerung an unsere verkörperten Vergangenheiten und immer noch bewusst agierend und handeln, aber von den wenigsten Verkörperten wahrnehmbar – wenn wir nicht mit dem Tode in andere Dimensionen überwechseln würden? Das heißt: Wir sind schon jetzt auch in jenen Dimensionen, aber wissen es nicht, da unsere Körperorgane sie nicht wahrnehmen, werden uns aber nach dem Tode als Seelen dessen wieder bewusst …

 

DIE ANDERE REALITÄT: Kommt die Reinkarnationslehre vornehmlich aus Indien? Stammt sie von dort?

Dr. Sigdell: Es ist wiederholt behauptet worden, dass die Reinkarnationslehre aus Indien stammen würde. In Wahrheit ist es so, dass sie in einigen asiatischen Kulturen überlebt hat, während sie in anderen Kulturen unterging. In alten Zeiten war der Reinkarnationsglauben in fast allen Kulturen vorhanden, auch in Kulturen, die keinen Kontakt mit Indien haben konnten – z.B. die Wikinger und die großen Kulturen von Süd- und Mittelamerika. Es gab im alten Judentum auch reinkarnationsgläubige Menschen. Manche Bibelstellen zeugen davon, wenn man sie ohne dogmatische Zwangsjacke deutet und übersetzt. Jene Menschen hatten dies bestimmt nicht von Indien her. Da das Christentum aus dem Judentum entstand, ist es also noch weniger verwunderlich, dass manche Frühchristen auch an die Reinkarnation glaubten.

 

DIE ANDERE REALITÄT: Was sind die Nachteile der Reinkarnation aus den Augen von Gegnern – was sind Ihre Vorteile?

Dr. Sigdell: Die Reinkarnation ist ein Stufenweg zurück zur göttlichen Welt, aus der wir als Seelen einmal herausgefallen sind – zurück nach Hause! Die Gegner der Reinkarnation sind entweder Materialisten, die weder an eine göttliche Welt noch an ein Leben nach dem Tode glauben, oder sie sind Dogmatiker, die den Menschen nicht zulassen wollen, ohne sie und ihrem Zutun in jene Welt zu gelangen. Auf sie trifft besonders das Bibelwort zu: «Wehe euch, ihr Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die das Himmelreich für die Menschen zuschließen wollt. Ihr kommt nicht hinein und die, die hinein wollen, lässt ihr nicht hinein gehen.» (Matth. 23,13). Der Reinkarnationsgläubige ist im «Vorteil», der Wahrheit näher zu sein und trotz solchen Pharisäern Stufe um Stufe zurück nach Hause zu gehen.

 

DIE ANDERE REALITÄT: Vielen Dank für das Interview.

 

[Vgl. hierzu meine Kommentare zur Notiz von Dr. Pöhlmann: „Fürchtet die Kirche den Reinkarnationsglauben“ im Materialdienst der EZW 11/2002.]