Kommentare zu den Texten über Reinkarnation auf der Webseite

www.relinfo.ch/index/reinkarnation.html

von Jan Erik Sigdell 12.03.2006

 

1. “Barbro Karlén - die wiedergeborene Anne Frank?”

Siehe ihr Buch: “… und die Wölfe heulten”, Perseus, Basel, 3. Aufl. 1998

 

Der Artikel von Georg Otto Schmid steht seit 1998 auf der Webseite, wodurch er nicht wahrer wird.

 

Man merkt die Mühe, die der Verfasser des Beitrages hat, um die Darstellung von Babro Karlén als unglaubwürdig darzustellen. Zuerst versucht er es mit einem altunbewährten Trick, der meistens eher zum Eigentor wird: Sie aufgrund einer sexuellen Geschichte zu diskreditieren. Sexualität, pfui! – also nicht glaubwürdig … Es geht um eine kurze Liaison mit ihrem Chef. Das als Argument herbeizuziehen zu versuchen ist unfair und zeugt von Argumentennot …

Dann versucht er, von den sehr vielen Angaben im Buch nur drei – mehr findet er scheinbar nicht – als unwahrscheinlich darzustellen. Es handelt sich um Angaben über Ereignisse mit SS-Leuten im KZ, die wirklich keine Bedeutung in diesem Zusammenhang haben. Die SS als “gewissenhafte Organisation” darstellen zu wollen, ist kein Einwand, sondern eher in sich selbst eine Verleumdung des Holocaust …

Es wird kritisiert, dass Barbro Karlén sich erinnere, im KZ am lebendigem Leibe verbrannt geworden zu sein, denn Anne Frank sei ja statt dessen an Typhus gestorben. Mir hat Barbro Karlén persönlich Folgendes erzählt: Es war ihr schrecklich kalt, und sie beklagte sich bei einem Aufseher, dass sie friere. Jener sagte ihr: “Ich werde dafür sorgen, dass es dir warm wird”, und dann kam sie todkrank aber noch lebendig in den Ofen. Also dürfte beides zutreffen: Typhuskrank in Fieber frierend und deshalb grausam verbrannt. Ein Widerspruch liegt nicht vor.

Der wiedergekaute Vorwurf, dass diese Veranstaltung den Holocaust verharmlose, gilt nicht. Im Gegenteil macht diese Erinnerung an Leid und Tod im KZ – so wie die vielen anderen, die es auch gibt (worunter viele in Rückführungen) – den Horror des Holocaust erst recht deutlich. Hier haben wir es ja mit (zumindest hypothetischen) Augenzeugen- und Erlebnisberichten zu tun, welche die Lüge über die sog. “Ausch­witzlüge” außerdem entlarven. Der Horror würde, gemäß dem Verfasser, etwas von seinem Schrecken verlieren: “Es war zwar furchtbar, aber es geht ja weiter”. Ja, soll es denn nicht weiter gehen? Dürfen jene Seelen nie vom Schrecken erlöst werden?

 

Die Reinkarnationslehre würde die einzelne Biografie durch die Aneinanderreihung vieler entwerten. Historische Geschehnisse würden jede Bedeutung einbüßen. Einmaliges würde unwichtig, unfaire und auch schreckliche Konstellationen unerheblich oder gar wünschbar, da sie Karma abtragen helfen. Da bemüht er sich sehr, um die Sache taktisch zu missverstehen. Da die Seele unsterblich ist und eine Lebenserfahrung auf die andere baut, wird eine sich “akkumulierende” Biografie der Seele immer vollständiger, bis sie für die endgültige Auferstehung reif ist. Die einzelnen Inkarnationen stehen in einem Zusammenhang und machen die Bausteine aus, woraus die Auferstehungspersönlichkeit aufgebaut wird und heranwächst. Da ist kein einzelnes Leben und keine einzelne Erfahrung bedeutungslos, sondern sie sind wichtige Glieder einer Kette, denn ohne sie würde die Kette reißen.

“Besonders zynisch wirkt in diesem Zusammenhang eine Aussage wie diejenige von Jan Erik Sigdell, dass die Reinkarnationstheorie geeignet sei, das Böse in der Welt durch Karmatheorie zu erklären.” Trotz meinem Versuch, ihn schon vor Jahren darüber aufzuklären, steht immer noch dieser Irrtum im Text. Ich habe geglaubt, Ehrlichkeit sei eine christliche Tugend … Es ging nicht um das Böse, sondern um das Leid in der Welt. Das Leid (also noch einmal: Nicht das Böse) kann tatsächlich in der Karmalehre eine Erklärung bekommen. Welche Erklärung hätte Georg Otto Schmid denn? Eine Erklärung braucht es wirklich, denn die allergrausamste von allen alternativen Möglichkeiten wäre, ohne Grund zu leiden! Das würde Gottes Liebe sehr infrage stellen … Es ist nicht in Ordnung, eine Erklärung zurückzuweisen, ohne dafür eine bessere zu bringen.

Was viel mehr zynisch erscheint, ist die Äußerung vom Theologieprofessor Ekkehard Stegemann (Basel), dass mit der Reinkarnationslehre und mit jener Veranstaltung Wiedergutmachung mitschwinge, die es in der Realität nicht gäbe: “... die Erschlagene sind erschlagen, und das wird so bleiben” [1]. Sollen also jene Seelen als Mahnmal ewig daran leiden? Soll man ihnen eine Wiedergutmachung verwehren? Ist das die christliche Liebe?

 

Zur bemerkenswerten Aufregung über die Veranstaltung mit Barbro Karlén habe ich ein Manuskript, das hier als eine PDF-Datei heruntergeladen werden kann: War Barbro Karlén wirklich Anne Frank?

 

Referenz:

1.   “Holocaust, esoterisch aufgekocht”, Tages-Anzeiger, Zürich, 15.5.1998.

 

Siehe auch den öffentlichen Leserbrief an die Basler Zeitung vom schweizerischen Anwalt David Schweizer: “Reinkarnation im Judentum anerkannt”.

 

2. Reinkarnationstherapie

von Joachim Finger, 1999

 

Am Anfang werden einige an sich ziemlich richtige Bemerkungen zur Reinkarnationstherapie aufgeführt, wobei er allerdings außer Acht lässt, dass eine Rückführung oft auch in Kindheitserlebnisse im heutigen Leben führt. Deswegen verwende ich weiterhin nicht die Bezeichnung “Reinkarnationsthera­pie” (außer in Zitaten vom Verfasser jenes Artikels), die in solchen Fällen ja nicht zutrifft, sondern “Rückführungstherapie”.

Dann fängt es an zu hinken: “Die Reinkarnationstherapie geht davon aus, dass die auftretenden Bilder, Gefühle, Situationen mit vergangenen Leben zu tun haben”. Richtiger ist, dass man das für möglich hält – sofern es sich nicht um ein Kindheitserlebnis handelt – und dass die KlientInnen es meistens spontan so erleben, ohne dass man es ihnen einredet. Wenn es also so erlebt wird und sowohl KlientIn wie der Rückführende den Glauben an die Reinkarnation teilen, gehen wir nicht wie die Katze um den heißen Brei, sondern nehmen es hypothetisch so an, wie es nun einmal aussieht und erlebt wird. Demnach wird selbstverständlich davon ausgegangen, dass eine “Bewusstseinsreise” über Geburt und Zeugung in die Vergangenheit zurück führen kann. Das ist auch eine Frage von Glaubens- und Meinungsfreiheit. Wenn es jemand anders meint, ist das auch ein Glaube.

 

Es ist wahr, dass “die im Westen verbreitete Vorstellung von Seelenwanderung/Wiedergeburt nicht mit den Vorstellungen des Hinduismus und des Buddhismus in eins zu setzen” ist. Daraus lässt sich aber gar nicht ableiten, dass “die Reinkarnationstherapie beruht auf einen sehr eingeschränkten Horizont der Wahrnehmung des Reinkarnationsgedankens, ohne dies zu deklarieren”. Im Gegenteil liegt eine erhebliche Erweiterung des Horizonts vor, da die westliche Reinkarnationslehre in vielem über die anderen Reinkarnationsvorstellungen hinaus geht und in mancher Hinsicht differenzierter ist. Sie ist auch – trotz massiver Bemühung von kirchlicher Seite her, um das Gegenteil zu “beweisen” – eindeutig mit der urchristlichen Lehre vereinbar, was ein Grundthema dieser Webseite ist. Für den Verfasser scheint aber als einzige “Horizonterweiterung” zu gelten, dass es keine Reinkarnation gäbe …

“Seriöse Therapie sollte sich auch Gedanken darüber machen, was denn das ist, was in der Sitzung auftaucht.” Das tun wir auch! Nur machen wir uns darüber auch Gedanken, die für den Verfasser nicht zulässig sind … Wir sind uns sehr gut bewusst, dass Erinnerungen von einem körperlichen Leben zum anderen sehr wohl mit dem Seelengedächtnis transportiert werden können. Oder soll denn die Seele kein Gedächtnis haben? Soll denn unsere Seele nach dem Tod des Körpers in dem Sinne auch “tot” sein, dass sie sich an nichts mehr erinnert? Wozu wäre sie in dem Fall verkörpert gewesen? Umsonst? Und wenn eine Seele sich wieder verkörpert – ob der Verfasser daran glaubt, oder nicht – sollte spätestens dann jene Erinnerung endgültig verloren gehen? Oder behält sie die Seele immer noch? Wenn nicht, was hätte dann eine Wiederverkörperung für einen Sinn? Es ist doch klar, dass wenn wir von Reinkarnation als Arbeitshypothese ausgehen, was uns niemand verbieten kann, dann wird die Seele ihre Erinnerung zwangsläufig in eine neue Verkörperung mit herüberbringen.

Er weist darauf hin, dass ein seelisches Vehikel im buddhistischen Modell fehle. Sollen nun auf einmal buddhistische Lehrmeinungen herhalten, wo wir uns doch in einem christlichen Zusammenhang bewegen? Wie reimt die Vorstellung von zusammengesetzten Seelen mit dem christlichen Glauben? Ist im kirchlichen Dogma der Horizont nicht sehr viel enger, als nach der Reinkarnationshypothese?

Das Kreuz würde überflüssig. Woher, denn?  Es sei grausam, Leidenden zu sagen, ihr Leiden diene dem geistigen Wachstum, oder sie hätten sich es sogar ausgesucht, oder es sei von einem wohlmeinenden Gott verordnet. Hier erhebt sich wieder (wie oben) der an den Verfasser gerichtete Anspruch auf eine Erklärung! Solange er nicht eine bessere Erklärung für das Leid hat, ist die des Karmas wirklich besser als keine. Sonst würden ja Menschen ohne Grund leiden, was wirklich zynisch und grausam wäre! Was hilft da das Kreuz? Dass Menschen “ihr Kreuz zu tragen hätten” ist eine zynische Verniedlichung der von Leid verschonten …

“Wenn Leiden … dem Wachstum dienen, warum soll man sei dann durch eine Therapie abkürzen?” Was hat das mit Rückführungstherapie zu tun? Würde man es so betrachten, wäre jede Therapie und jede Krankenbehandlung falsch! Ärzte gehörten abgeschafft und Krankenhäuser geschlossen … Es ist eine christliche Pflicht, dem Leidenden im Rahmen des Möglichen zu helfen! Nur darf es ausgerechnet nicht durch Rückführungstherapie sein, sondern kann der Leidende nicht in anderer Weise davon erlöst werden, dann soll er halt weiter leiden … Das klingt ja hier mit … Die Antwort an den Verfasser ist, dass wenn der Leidende in der Hilfeleistung eine Liebe erfährt, zu der er vorher selbst nicht fähig war, ist ihm das sehr lehrreich. Und würde die Hilfebemühung nicht gelingen oder nicht angenommen werden, kann man erst dann davon sprechen, dass es wohl nicht sein sollte.

 

Er behauptet dann, dass Rückführungstherapeuten für das inhaltliche Geschehen keine Verantwortung übernehmen würden. Was soll das heißen? Was wäre für ihn die “Verantwortung”? Es etwa als unwahr zu bezeichnen und der Person einreden, das sei nur Fantasie? Und damit eine erstrebte therapeutische Wirkung wie das Kind mit dem Bade ausschütten? Entscheidend ist und bleibt, inwieweit es der Person tatsächlich hilft, ihr Problem zu lösen, alles andere ist dem gegenüber zweitrangig.

Die “hochsuggestive Situation” der Therapieform gilt höchstens und nur potenziell für eine triefe hypnotische Rückführung. Heute werden Rückführungen normalerweise ohne Hypnose durchgeführt. In einer richtig durchgeführten Rückführung wird nicht etwa ein “früheres Leben” suggeriert, sondern man geht voraussetzungslos (also auch ohne die einschränkende Voraussetzung, dass es in diesem Leben sein müsse) zum “Urtrauma” des Problems zurück. Viele landen dabei in der heutigen Kindheit. Manche in der Zeit im Mutterleib vor der Geburt. Andere berichten spontan von etwas, das allem nach wie ein Geschehen in einer Zeit aussieht, die lange zurückliegt. Es wird als echt erlebt. Der Verfasser würde also der Person das ausreden wollen und damit vorwegnehmend das therapeutische Ziel gleich verbauen. Dabei ist doch gerade der therapeutische Erfolg – dem erst dann eine Chance gegeben wird, wenn man das auftauchende Erlebnis als eine hypothetische Möglichkeit zulässt –  ein bedeutendes Indiz für die Deutungshypothese “früheres Leben”!

Er will es nicht wahr haben, dass Rückführungstherapeuten meistens recht gut zwischen “Fantasiebil­dern” und historischen Erlebnissen unterscheiden können. Es wird wohl schon sein, dass es nicht jeder kann. Wer aber eine jahrzehntelange Erfahrung hat, hat es gelernt, auch wenn es ihm der Verfasser nicht anerkennen will. Das hat nun einmal gar nichts mit “Allmachtsfantasien” zu tun! Und in einer richtig geführten Rückführung (zugegebenerweise werden nicht alle richtig geführt sein) auch nichts mit “Machtgefälle”. Die Funktionsweise der Übertragung von Erinnerungen von einem Leben zum anderen ist tatsächlich durchdacht und in der Literatur dargestellt. Es ist nur so, dass der Verfasser mit dem Ergebnis des Durchdachten nicht einverstanden ist, weil es nicht in sein vorgefasstes Weltbild passt.

“Es kann nicht genug betont werden, dass nicht jede therapeutische Methode für jedes Problem und jeden Klienten geeignet ist” ist natürlich wahr! Das trifft auf die Rückführungstherapie genauso gut wie auf herkömmliche Therapieformen zu, wo in der Hinsicht kein Unterschied herrscht. Tatsache ist, dass vielen Menschen viel mehr von der Rückführungstherapie geholfen wurde, als von anderen Therapien. Umgekehrt werden viele eher von herkömmlichen Therapien geholfen. Gerade deshalb haben alle Therapieformen, auch die Rückführungstherapie, ihre Existenzberechtigung. Niemand behauptet, dass die Rückführungstherapie ein Allheilmittel sei, denn ein solches gibt es nicht.

 

Eine “Ausbildung” von sechs Tagen? Das hängt natürlich davon ab, wie der Kurs angeboten wird. Bei einem seriösen Angebot wird nicht behauptet, dass der Kursteilnehmer am Tag nach dem Kursabschluss etwa ein “Rückführungstherapeut” sei. Wer sich sofort nachher als einen solchen ausgibt, wird daran scheitern. Der seriös angebotene Kurs gibt nur den Teilnehmern einen “Werkzeugkasten” mit und sie müssen natürlich erst damit üben, bis sie fühlen, dass sie damit umgehen können. Die meisten haben bereits irgendeine therapeutische Tätigkeit und damit eine erste Basis für das Einüben. Nur handelt es sich oft um Formen von therapeutischen Tätigkeiten, die der Verfasser nicht gelten lassen will. Eine sehr umfassende Erfahrung zeigt, dass man durch das Sich-Einüben der Person, die sich dafür freiwillig zur Verfügung stellt, keinen Schaden zufügt. Man lese hierüber mehr im Text unter “Hinweise für Rückführungen und Regressionstherapie” auf dieser Webseite.

 

3. Reinkarnation und die Bibel

von Georg Schmid, 1998

 

Ich bin mit der Aussage einverstanden, dass es wahrscheinlich keine wesentliche antireinkarnationistische Überarbeitung der Bibeltexte gegeben hat, sofern wir uns an die alten Sprachen (Griechisch und Hebräisch) halten. Es ist aber eine andere Frage, wie sie in moderne Sprachen übersetzt werden. Es wird offensichtlich nach dogmatischen Vorgaben übersetzt, die bestimmen wollen, wie der Text verstanden werden soll. Es wird uns unterschlagen, dass an manchen Stellen auch anders übersetzt werden kann, wodurch die Stelle eine andere Bedeutung bekommt. Siehe hierzu mein Buch Reinkarnation, Christentum und das kirchliche Dogma (Abschnitt “Bücher” auf dieser Webseite) und “Widersprüche oder Indizien in der Bibel?” im Artikel Rückführung auf dieser Webseite sowie meine Artikel Neue Gedanken zu alten Bibelstellen und Zur Übersetzung von hapax apothanein als „einmal sterben” im Hebräerbrief 9,27 und auch Kommentare und Ergänzungen zu Reinkarnation, Christentum und das kirchliche Dogma. Solche sprachlich gültige Übersetzungsalternative zulassend, lassen sich sehr wohl einige zumindest potenzielle Hinweise auf den Reinkarnationsglauben in der Bibel finden.

“Heute soll sich Nacht in Licht verwandeln … ” Wo sehen wir das? Es handelt sich um einen sehr langsamen Prozess, der seit Jahrtausenden im Gange ist und heute möglicherweise in einer nicht allzu fernen Zukunft beschleunigt werden kann. “Heute” ist nur ein Abschnitt dieses Prozesses, zu welchem deshalb auch das Vergangene gehört.

Keiner hatte unendlich viele Vorleben. Aber viele hatten Hunderte. Das Karma wirkt sich, je weiter zurück die Ursache liegt, um so weniger heute aus. Altes Karma ist meistens schon erledigt und die Lektionen daraus sind gelernt. Was uns heute beeinflusst ist meistens ein verhältnismäßig junges Karma. Es geht nicht um einen Neuanfang, sondern um eine fortschreitende Entwicklung. Dabei geht es nicht um einen Fatalismus, sondern darum, wie wir in bestimmten Situationen wählen zu handeln. Gute Handlungen haben gute Folgen, schlechte haben schlechte Folgen. Ich habe die Wahlfreiheit, wenn um das Handeln geht, aber sie geht nicht so weit, dass ich dann die Folgen wegwählen kann. Alles oder nichts! Ich kann nicht die Rosinen aus dem Kuchen pflücken und den Rest wegwerfen. Ich muss ihn ganz essen, so wie ich ihn gebacken habe. Die grundsätzliche Wahlfreiheit widerspricht jedoch den Vorwurf von Fatalismus. Das eigene Schicksal ist als Folge einer Handlungswahl mitgewählt.

 

4. Anfang und Ende des Glaubens an die Reinkarnation

von Georg Schmid, 1988

 

Der Text ist taktisch raffiniert aufgebaut. Zuerst wird dem Leser ein historisch-philosophisches Verständnis dafür aufgebaut, wie es in der Welt zu einem Reinkarnationsglauben gekommen ist, dann wird das aufgebaute Stück für Stück abgebaut, sodass der Leser mit der Überzeugung da stehen soll, dass der Reinkarnationsglaube ein Irrtum der Menschheit sei.

 

Es ist wahr, dass die Rückerinnerung an frühere Leben, seit die Menschheit solche Rückerinnerungen kennt, auch (nicht nur) Früchte eines mystischen Weges sind. Solche Rückerinnerungen gab es zu allen Zeiten und in den frühesten Kulturen. Manche Erlebnisse christlicher Mystiker lassen zwischen den Zeilen ahnen, dass auch sie möglicherweise solche Rückerinnerungen hatten, nur in Allegorien eingewickelt, da sie sich sonst den Gefahren der Inquisition aussetzen könnten. Jedoch hatten nicht nur Mystiker und Yogis solche Rückerinnerungen, sondern auch gewöhnliche Menschen. Das kommt heute noch vor.

Es ist auch wahr, dass der Glaube an die Reinkarnation in einer weitgehend orientierungslosen Zeit Orientierung schenkt, und dass der biblische Glaube eher für eine Minderheit der Menschen eine Orientierungshilfe ist – womit ich die Bibel nicht abwerten will! Die Reinkarnationslehre gibt uns Antworten auf Fragen, wie “Wo komme ich her?”, “Wo gehe ich hin?”, “Wer bin ich?”  Wenn er aber schreibt: “Der Glaube an die Reinkarnation ist sicher nicht die schönste Frucht am Baum der Mystik”, frage ich mich: “Warum?” Ich finde es besonders schön, dass sie eben solche Fragen beantwortet und zusammen mit dem freien Willen außerdem eine Lösung des Theodizee-Problems gibt, wovon die kirchliche Lehre keine Lösung hat. (Für eine ausführliche Besprechung dieses theologischen Problems, siehe mein oben erwähntes Buch Reinkarnation, Christentum und das kirchliche Dogma).

Was die Reinkarnationslehre und die Bibel betrifft, siehe oben (und auch das genannte Buch).

Er schreibt, dass die Antwort des Christentums: “Gott liebt dich. Er kennt dich. Er sorgt sich um dich” vielfach ungehört und unverstanden bleibt. Es ist auch wirklich schwer, sie in Einklang mit der auch grausamen, gewaltsamen und leidvollen Realität unserer Welt in Einklang zu bringen. Wenn Gott uns liebt, wie kann es dann so viel Lied geben? Das ist eben das Theodizee-Problem! Ein altes theologisches Problem, woran die kirchliche Theologie scheiterte. Sie gab dann die Versuche auf und erklärte, dass dies dem menschlichen Verstand übersteige, womit die Frage eher unter den Teppich gekehrt wurde.

Er gibt zu, dass Erlebnisse u.a. in Rückführungen mit wahren Ereignissen in der Vergangenheit zu tun haben können, stellt aber das Deutungsmuster Reinkarnation infrage. Es könne sich ebenso gut um hellsichtige Wahrnehmungen der Vergangenheit handeln. Dieser Einwand ist nicht neu und es ist nicht auszuschließen, dass die Erklärung in manchen Fällen zutrifft. Aber tut sie es immer? Ein besonders starkes Indiz dafür, dass es zumindest oft nicht nur hellsichtig Erschautes sein dürfte, ist der Erfolg der Rückführungstherapie. Wenn eine Person von Schlangenphobie anhaltend frei wird, weil sie wiedererlebt, wie sie in einem hypothetischen früheren Leben an einem Schlangenbiss starb und die damaligen negativen Gefühlsenergien auflöst, kann das nicht gut dadurch erklärt werden, dass sie “hellsichtig” ein solches Schicksal einer ganz anderen Person erschaute. Das wäre viel zu weit hergeholt. Die Erfahrung wird doch mit der Seele der Person selbst zu tun haben, wenn sie erstens die heutige Phobie erklärt und zweitens das Erlebnis sie auflöst. Gegner wollen aber von solchen Therapieerfolgen nichts wissen, da sie für sie schwer verdauliche Indizien bedeuten. Die Behauptung von derart intensiven und detaillierten hellsichtigen Einsichten in das Leben einer anderen Person, und immer eine, die vor der eigenen Geburt starb, ist nicht weniger fantastisch als die der Reinkarnation der Seele.

 

“Der Glaube an die Reinkarnationen bricht zum ersten Mal auf in der frühen Philosophie der Upanishaden” – das stimmt nicht. Es gab den Glauben in verschiedenen Formen in fast allen alten und noch älteren Kulturen, auch in solchen, die gar keinen Kontakt mit Indien haben konnten. Der Unterschied ist nur, dass der Glaube in Indien überlebte, während er in anderen Kulturen und Religionen mit der Zeit in oder mit der Kultur unterging. Er konstruiert einen Unterschied zwischen Wiedergeburt und “Weitergeburt”, um diese Tatsache abzuwerten. Der Unterschied ist aber nicht wesentlich. Auch was er als “Weitergeburt” bezeichnet, ist eine Form von Reinkarnation. Der Begriff scheint weitgehend seine eigene Erfindung zu sein und ist sonst kaum zu finden, jedenfalls nicht in jenem Sinne.

Er meint, dass die Reinkarnationslehre einen Glauben ermöglicht, ohne einen Gottesglauben zu verlangen. Das ist widersprüchlich! Die Reinkarnation setzt notwendigerweise die Existenz einer Seele voraus, eines bewussten Ichs, das keinen physischen sondern einen seelischen Körper hat, sich jedoch in Intervallen mit einem physischen Körper verbindet. Wo kommt denn diese Seele her? Dieser Frage nachzugehen, wird zu einem Gott führen, der die Seele erschaffen hat! Der Versuch, die Reinkarnationslehre als im Grunde atheistisch darzustellen, verfehlt das Ziel.

Auch der Versuch zur Umkehrung gelingt nicht. Es gibt keinen logischen Grund für die Behauptung, dass in einer Welt mit ungebrochenem Gottesglauben, in der ein göttlicher Wille bestimmt, es keinen Anlass für den Glauben an Karma und Reinkarnation gäbe. Eher umgekehrt: Gott hat uns diesen Entwicklungsweg erschaffen, sodass am Ende keine Seele verloren geht. Jede Seele findet zurück in die göttliche Welt, die eine schneller, die andere auf vielen Um- und Irrwegen. Es gibt keine ewige Verdammnis. Das ist die Gnade und die göttliche Liebe in dieser Lehre.

Was in der Meditation geschieht, ist in diesem Zusammenhang ziemlich uninteressant, da Rückblickserlebnisse keineswegs Meditation voraussetzen und nicht einmal sehr häufig in Meditationen vorkommen. Sicher kommen solche Einsichten in Meditationen vor, was eher die Sache bestätigt und nicht Voraussetzung für die Rückerinnerung ist.

 

“Erleuchtete glauben nicht mehr an die Wiedergeburt” ist eins sehr gewagte Behauptung! Sie werden es viel besser wissen, als der Verfasser (von dem ich nicht annehme, dass er erleuchtet ist), und sie wissen, dass sie die Wiedergeburt überwunden haben. Sie sind (zumindest fast) am Ende des langen Weges angekommen. Gerade sie werden nicht mehr wiedergeboren werden müssen, denn sie haben es bereits hinter sich. Das haben wir nicht …

“Wenn christliche Mystiker Rückerinnerungen an frühere Leben hatten, so hätten sie diese sicher als eine Prophetie rückwärts verstanden.” Hier darf man nicht vergessen, dass man im Mittelalter allzu leicht auf dem Scheiterhaufen oder in den Folterkammern der Inquisition enden konnte, würde man über die Reinkarnation sprechen. Es war eine Frage des Überlebens, wenn jemand solche Einsichten hatte, diese für sich zu behalten oder sie derart in allegorische Formulierungen einzuwickeln, dass nur der Eingeweihte verstand, worum es wirklich ging.

Was ist die Zeit? Er will auch Rückerinnerungen gewissermaßen als Zeitparadoxen erklären, als deshalb nur scheinbare Vergangenheiten, da er zu glauben meint, dass es eigentlich keine Vergangenheit gibt. Irgendwo wäre alles jetzt. Das meinen viele und es gibt keinen Zweifel, dass unsere lineare Zeitvorstellung nicht mehr als eine Annäherung an die Wahrheit ist. Bedeutet das aber, dass es keine Vergangenheit und keine Zukunft gäbe? Warum sollten wir uns dann auf (zumindest mögliche) zukünftige Geschehen vorbereiten? Zum Beispiel auf eine Pandemie der Vogelgrippe? Warum sollte ich mich dann um eine Entwicklung bemühen, wenn ich keine Zukunft hätte? Oder wenn mein “zukünftiges Ich” schon da und somit eigentlich bereits vorbestimmt wäre, mir nur in der Verwirrung des Zeiterlebnisses in diesem Moment nicht erfassbar? Das heißt dann “noch nicht” erfassbar, und darin liegt schon eine zeitliche Formulierung … Die Wahrheit dürfte sein, dass die Zeit in Wirklichkeit viel mehr ist, als der lineare Ablauf, als welcher wir die Zeit erleben, aber dass das noch lange nicht heißt, das es keine Vergangenheit, keine Zukunft und keine Kausalität gäbe. Es gehört nur mehr dazu, als wir heute wissen.

 

Der Anfang des Reinkarnationsglaubens liegt am Ursprung der Menschheit und sein Ende liegt dort, wo alle Menschen auferstanden sein werden. In einer Zukunft, die es doch geben wird, wenn auch ein bisschen anders, als wir sie uns vorstellen.

 

 

5. Die Website www.relinfo.ch/index/reinkarnation.html verlinkt auch zu einem Artikel von Johannes Aagaard (nicht Aargaard, wie der Übersetzer aus den Dänischen sich offensichtlich geirrt hat) über “Reinkarnation (Seelenwanderung)”. Dieser Artikel ist auf der Webseite www.religio.de/dialog/395/395s13.html zu finden und wird im Zusammenhang mit jener Webadresse besprochen.